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Ein besonderer Junge

Ein besonderer Junge

Titel: Ein besonderer Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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nichts, lass es einfach mit dir geschehen.«
    Sie stand vor dem Sofa, über mir, während sie ihre Bitte mit tonloser Stimme wiederholte. Am Ende meiner Widerstandskraft ließ ich sie dieses Mal meinen Gürtel aufschnallen und sich meiner bemächtigen. Sie fing an, mich zu streicheln, und ich war nicht unempfänglich dafür. Die Situation machte aus mir ein passives, ihrer Laune unterworfenes Objekt und erregte mich, gefühllos, bis aufs Äußerste. Als ich spürte, dass ich kam, warf ich den Kopf in den Nacken, doch Helena hörte sofort auf, mich zu streicheln.
    »Nicht die Augen schließen, Louis, ich möchte dein Gesicht sehen! Behalte deine Lust nicht für dich, sieh mich an, bis zum Schluss. Sieh mich an, auch wenn es unerträglich für dich wird.«
    Und wieder griff sie nach meinem Geschlecht: Ihre dunklen Pupillen waren auf mich gerichtet und erteilten mir in einer Weise einen Befehl, der ich mich nicht entziehen konnte. Der Sonne und dem Tod konnte man nicht ins Gesicht sehen, so wenig wie dem kleinen Tod, dachte ich, während ihre Hand nach mir tastete; nie hätte ich gedacht, dass es so schwer sein konnte, die Augen nicht zu schließen, wenn sich die Lust entlud.
    Helenas Begehren war so stark, dass ich mich fügte; ihr Blick grub sich bis auf den Grund meiner Augen, angespannt, flehentlich. Als ich mich schließlich gehen ließ, mit weit aufgerissenen Augen, die, wie sie es verlangte, an ihrem Blick hingen, angezogen von diesem schwarzen Schlund, empfand ich eine bisher ungekannte Lust, zwischen Genuss und Schmerz.

 
    Als ich mich anschickte, in mein Zimmer zurückzugehen, hielt Helena mich am Arm zurück. Sie hatte ihre Selbstsicherheit wieder vollständig zurückerlangt und nichts mehr von der
zerrütteten Frau
, die kurz zuvor noch so überzeugend vor mir geweint hatte.
    »Ich bin gekommen, ohne dass du mich berührt hast, ich habe es dir nur mit der Hand gemacht, kannst du dir vorstellen, wie es wäre, wenn du zulassen würdest, dass unsere Körper wirklich zueinander kämen?«
    Genau das wollte ich nicht erleben. Sie wiederholte, dass sie das nicht davon abhalten würde, es immer wieder von mir zu verlangen, und da ich zur Tür ging, fügte sie hinzu:
    »Ach, Louis! Fast hätte ich es vergessen! Am Wochenende wird mein Mann vorbeischauen. Geben Sie Iannis das Abendbrot etwas früher und bringen Sie ihn zu Bett, sobald er seinen Vater gesehen hat, damit wir drei in Ruhe zusammen zu Abend essen können. Zumal mir Jérôme angekündigt hat, er bringe eine gute Nachricht.«
    Dann sagte sie mir mit einem Lächeln, als zöge sie einen Trumpf aus dem Ärmel:
    »Dieser Besuch verschafft mir die Gelegenheit, dir zu zeigen, dass ich noch ein anderes Mittel habe, einen Orgasmus vor dir zu bekommen, ohne dass du mich berührst.«
    So schlug sie mir eine neue Prüfung vor. Sie war ganz klar nicht mehr das
arme Wesen
, das sich an mich gewandt hatte, wohl aber die Frau, die das Spiel von Beginn an beherrschte, und ich ärgerte mich über meine Passivität: Als Spätentwickler konnte ich mich gegen eine solche Entschlossenheit einfach nicht wehren.
    Am nächsten Morgen hatte ich keine Erinnerung mehr an die Träume, die meinen Schlaf bevölkert hatten, die aber, meinem zerwühlten Bett nach zu schließen, sehr lebhaft gewesen sein mussten. Für Iannis begann der Tag mit den üblichen Ritualen: mit dem Frühstück, das er in unglaublicher Geschwindigkeit hinunterschlang, dann dem Toilettengang, der nach wie vor eine große Herausforderung war.
    Es gab Einkäufe zu erledigen. Im Laden irrte Iannis wie üblich in seiltänzerischer Manie zwischen den Regalen umher, wobei er sich ungeachtet seines abwesenden Blickes stets meiner Nähe versicherte. An einem Stapel von Konserven verlor ich ihn aus den Augen. Ich hörte, wie meine Stimme sich bei jedem Ruf nach ihm eine Stimmlage höher schraubte aus Angst, er könne den Laden verlassen haben, um auf der Mole herumzuspazieren. Als ich ihn reglos vor den Scheiben eines großen Kühlregals wiederfand, entfuhr mir ein Seufzer der Erleichterung. Versteinert betrachtete er den Zwilling, der ihn von der anderen Seite dieses Spiegelsansah. Er streckte die Hand nach ihm aus, und ich dachte zuerst, er versuche, ihn zu berühren, doch dann sah ich, dass sein Finger Zeichen in das Kondenswasser malte, das sich in kleinen Tröpfchen auf der Scheibe niederschlug.
    Als ich hinzutrat, konnte ich gerade noch einen Blick auf die Anfangsbuchstaben des Vornamens Antoine werfen, die sein

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