Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
niedrigen Standards in den Küchen, bedauert aber nur wenige Minuten später, dass die Zeiten vorbei sind, in denen »der lustigste Arsch in der Küche« ein Held war. »Das gibt es heute nicht mehr«, klagt er. »Aber David«, sage ich, »du hättest den lustigen Arsch in deiner Küche rausgeworfen, weil er deine blöden Standards nicht ernst genug nimmt.«
Er schimpft trotzdem weiter. »Einmal abgesehen von Keller und ein paar anderen, gibt es niemanden, der gute
Köche ausbildet« - und erzählt dann bewundernd die Geschichte, wie sich ein Koch versehentlich »die Fingerkuppe abhackte, und dann haben sie die Wunde auf der Herdplatte ausgebrannt«. Ich fühle mich verpflichtet, ihn daran zu erinnern, dass derartige Praktiken in der French Laundry sicher nicht gern gesehen würden.
»Es gefällt mir überhaupt nicht, dass Kochen so elitär geworden ist«, sagt ein Mann, der genau weiß, dass er sich mit jedem Tag und mit jedem weiteren neuen Restaurant immer weiter von der Schwerstarbeit in der Küche entfernt.
Und … wen mag er eigentlich?
»Ich rede mit niemandem«, gesteht er traurig. Und ich bin fast versucht, ihm zu glauben.
Dann räumt er zögernd ein, dass er doch ein paar Freunde hat. Peter Meehan, der Autor und Journalist, der an seinem Kochbuch mitgearbeitet hat, ist ein Freund. Ich habe den Eindruck, dass Meehan, ein kluger, anständiger Junge, als Regulator für Changs Wutausbrüche fungiert. Und als sein Berater. Jemand, an den er sich wenden und den er fragen kann: »Ist das eine gute Idee?« oder »Ist das gut für mich? «, und von dem er eine ehrliche Antwort erhält.
Wylie Dufresne, der heroisch innovative Küchenchef und Besitzer des wd~50, ist ein Freund. Chang bezeichnet ihn als seinen Mentor. »Er wohnt in der Nähe. Er ist wie ein großer Bruder.« Von Dufresne spricht er stets voller Respekt und Zuneigung. Ich habe den Eindruck, ich müsste nur über eine Vorspeise des wd~50 herziehen, schon würde Chang kein Wort mehr mit mir sprechen.
Es fällt der Name Ken Friedman - Eigentümer des unglaublich erfolgreichen Gastropubs Spotted Pig, der Bar The
Rusty Knot und einer wachsenden Zahl anderer Lokale. Nach einer legendären Karriere im Musikgeschäft legte Friedman einen ähnlich schnellen und steilen Aufstieg in der Restaurantbranche hin. Chang betrachtet Kens erfolgreiche Lebensführung offenbar mit einer Mischung aus Verbundenheit, Bewunderung und Neid.
»Er führt ein geradezu lachhaft gutes Leben … er [hat sich anscheinend] einfach so durchgewurstelt. Ein guter Mann.«
Dave Arnold, der Leiter der Technologieabteilung des French Culinary Institute, theoretischer Vordenker und Berater progressiver Küchenchefs, ist ebenfalls ein Freund. (»David Chang + Dave Arnold = glücklicher Chang«, sagt Meehan.)
Fragt man Meehan, was Chang sonst noch glücklich macht, nennt er Bier, Berge von gedämpften Krustentieren - und eine leidenschaftliche Debatte über den Transzendentalismus in Neuengland als wichtiges Gegengewicht zum Imperialismus.
Chang selbst erklärt, er hege eine geradezu krankhafte Begeisterung für einen speziellen Eishockeyspieler, den Verteidiger Rod Langway von den Washington Capitals, weil er einer der letzten Spieler gewesen sei, die ohne Helm gespielt hätten. Für Amateur-Changologen, die die Laufbahn des jungen Kochs analysieren wollen, bietet sich hier vielleicht ein wichtiger Ansatzpunkt.
Peter Meehan erklärt: »Das Wichtigste an David ist … diese Rastlosigkeit, die Bereitschaft, alles über Bord zu werfen und von vorn anzufangen, der Wunsch, es immer noch besser zu machen. Die Dynamik in seinen Restaurants, die fast mit Händen zu greifen ist. So etwas ist äußerst selten.«
Ich glaube, Chang bedauert, dass er nur kurz im Café Boulud und im Craft gearbeitet hat, daher idealisiert er die großen New Yorker Küchen wie die im Lespinasse, Le Cirque, in der Gramercy Tavern, im Le Bernardin und im Daniel - Restaurants, in denen ganze Generationen von Küchenchefs heranwuchsen und ihr Handwerk lernten.
»Christian Delouvrier … Ich wäre am Arsch gewesen, wenn ich für ihn hätte arbeiten müssen. Aber aus der Sicht eines Kochs hat das etwas Romantisches.«
Sehnsüchtig - wie ein Kind, das sich die Nase am Schaufenster platt drückt - blickt er zurück auf die früheren Generationen von Superhelden in der Küche. In einer E-Mail beschreibt er in elegischem Ton eine Kochveranstaltung in Kopenhagen, wo er Gelegenheit hatte, den großen Albert Adrià bei der
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