Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
Arbeit zu beobachten.
»Albert ist voller Scherze und zu Spielchen aufgelegt, bis er in die Küche kommt, dort wird er zum Besessenen. Zum ersten Mal nach acht Monaten zieht er sich die Kochjacke an, erklärt, warum die Haute Cuisine für ihn gestorben ist … Ich glaube, ich sah ihm drei Stunden beim Arbeiten zu, sein Gehirn lief auf Hochtouren … Es war traurig und schön zugleich, denn wahrscheinlich war es das letzte Mal, dass er kochte, es war, wie wenn man Michael Jordan bei seinem letzten Spiel zusieht … Er machte alles allein, der ganze Raum, die Gäste … die Köche … der Küchenchef sahen ihm bewundernd zu. Und es war verdammt lecker.
Ich bin ein Freak, was kulinarische Geschichte angeht«, sagt er. Im Ssäm hat er eine Fotogalerie der Küchenchefs, die er respektiert, als Inspiration für seine Köche. »Wenn ein Küchenchef kommt? Dann weiß ich das sofort.« (Und er
will, dass es seine Köche auch gleich erkennen.) Er spricht über verstorbene Legenden wie Jean-Louis Palladin oder Gilbert Le Coze wie über die großen Baseballspieler des Goldenen Zeitalters und fragt mich: »Weißt du überhaupt, wer alles in Bouleys Küche gearbeitet hat? Jeder! «
Der aktuelle Trend weg von weißer Tischwäsche, Kristallgläsern, dem klassischen aufwendigen Service und der Haute Cuisine hat seiner Meinung nach Vor- und Nachteile. »Er ist gut, weil dadurch die Restaurants aufblühen, die keine gehobene Küche anbieten. Aber die Sache ist zweischneidig - denn dadurch gehen die Ausbildungsstätten verloren, die richtig gute Köche hervorbringen. Und Restaurants brauchen gute Köche«, betont er.
»Aber Junge, du bist doch derjenige, der sie umbringt«, hätte ich einwenden können. Wenn jemand den Weg gewiesen und eine existenzfähige, lohnende Alternative zum alten Modell der gehobenen Restaurants aufgezeigt hat, dann ist das Chang. Warum sollte sich ein Küchenchef, der den Erfolg des Ssäm und Ko gesehen hat, die Mühe mit Stielgläsern und Tischwäsche machen? Egal, was er dabei empfindet, Chang - und sei es nur als einer von vielen - trägt dazu bei, das zu töten, was er am meisten liebt. Er macht seine Helden (die Namen auf den Kochbüchern in den Regalen seines Büros) überflüssig.
Sein besonderer Respekt gilt Alex Lee, dem ehemaligen Küchenchef des Daniel. Der Standard und das Niveau, das Chang dort bei seinen Stippvisiten erlebte, haben ihn sehr beeindruckt. Eine Vorgabe, an der er sich ständig misst - wobei ihn der Vergleich nie zufriedenstellt. Dass Lee mit Ende dreißig und drei Kindern vor Kurzem in einem Country-Club
anfing, ist für jeden Familienmenschen verständlich. Doch David war seltsamerweise völlig niedergeschmettert.
»Ich sehe das alles und denke, so talentiert werde ich nie sein - und ich werde auch nie die Arbeitsmoral dieses Wahnsinnigen haben -, und er hört einfach auf?!«
Da er immer wieder behauptet, er sei als Küchenchef und Koch nur mittelmäßig, frage ich ihn, was er seiner Meinung nach richtig gut kann.
»Ich habe die seltsame Fähigkeit, das zu denken, was derjenige, mit dem ich arbeite, gerade denkt«, sagt er. Als ich ihn frage, ob er ein besserer Manager oder ein besserer Koch sei, antwortet er: »Die besten Köche sind wie das eine hübsche Mädchen auf der Highschool. Talentiert. Zum Kochen geboren. Sie müssen nie andere Fertigkeiten entwickeln.« Er denkt kurz nach: »Ich meine … Larry Bird war ein furchtbarer Trainer.«
Was bei mir den Eindruck hinterlässt, dass Chang viel lieber ein Talent und Virtuose wie Larry Bird (und damit ein schlechter Manager) wäre - anstatt so zu sein, wie er nun einmal ist.
Wir haben drei Bier getrunken und eine ordentliche Menge Hähnchenteile verdrückt. Vor ihm in einer Schale glänzen die blanken Spieße. Chang seufzt und lehnt sich zurück.
»In den letzten fünf Jahren hat sich alles verändert. Das Einzige, was immer bleibt, sind die platonischen Ideale. Liebe. Wahrheit. Treue. Es war so schön, als nichts von mir erwartet wurde.«
Aber heutzutage erwartet man alles von David Chang. In nur fünf Jahren kamen zur Momofuku Noodle Bar das Momofuku
Ssäm, das Momofuku Ko und die Milk Bar dazu - und jetzt zieht er nach Midtown Manhattan und eröffnet dort, wo Geoffrey Zakarian das Restaurant Town hatte, sein Má Pêche. Sein Kochbuch Momofuku steht bereits in den Buchhandlungen, es wird eine Lesereise geben - und mit dem Erfolg sind unerklärliche Taubheitsattacken verbunden, psychosomatische Lähmungen, die
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