Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
ist (aber so ist das, wenn man anständig kocht) … Es richtig machen heißt, ein Gericht zu kochen oder vorzubereiten, wenn niemand zusieht und man weiß, dass es Millionen Abkürzungen gibt, und trotzdem den mühsamen Weg zu wählen, ohne dass man dafür besondere Anerkennung von seinen Kollegen bekommt. Ich sehe das und gehe wieder nach oben, sehe, dass ich gar nicht gebraucht werde, dass die Restaurants bei Hochbetrieb besser ohne mich laufen. Das bringt mich zum Lächeln.
Ich gehe zurück zum Ssäm und Milk und stehe in der Ecke und sehe zu, wie ein Koch mit einem anderen Koch schimpft, weil er sich nicht richtig ins Zeug legt. Jeder fühlt sich verantwortlich, und alles läuft so gut, dass ich mich an einem Samstagabend schon um zehn Uhr mit ein paar anderen Küchenchefs, die ebenfalls früh loskamen, davonmachen, mit einem Freund oder meiner Freundin etwas trinken gehen kann … vielleicht wird es dann richtig spät. Eine Bar mit einer tollen Jukebox. Eine Nacht mit Bourbon.
An und für sich? Ein Abend ohne Probleme, an dem sich jeder ins Zeug legt und seine Arbeit macht. Ich muss niemanden anschreien.«
Er fügt noch hinzu: » Früher war das manchmal so. Aber heute nicht mehr … Das war eher hypothetisch.«
Da Changs Antwort fast nur etwas mit Arbeit und wenig mit Freizeit zu tun hat, frage ich ein paar Tage später Peter Meehan, was David Chang seiner Meinung nach wirklich glücklich macht - wenn die Räder je zum Stillstand kommen, wenn er mal ausruht, tief Luft holt, den Kopf völlig frei hat.
»Ich habe das schon erlebt«, sagt Meehan. »Das gibt es. Aber er strebt es nicht an. Glück steht in seinem Leben nicht an oberster Stelle. Es ist angenehm, wenn es sich zufällig einstellt, aber er ist nicht darauf aus. Vielleicht, wenn er eines Tages erkennt, dass Glück ihm helfen kann, seine Ziele zu erreichen, vielleicht interessiert er sich dann dafür.«
Der Kellner vom Yakitori Totto kommt an unseren Tisch und erinnert uns, dass wir um sieben unseren Platz räumen müssen. Sie brauchen den Tisch. Chang blickt zum Fenster hinaus, dann zurück zu mir. »Ich finde es so schade, dass ich mich nicht mehr zusammen mit meinen Köchen besaufe.«
Dann fügt er sachlich hinzu: »Ich sterbe, bevor ich fünfzig werde.«
My aim is true
S panisch ist die Sprache, die am frühen Morgen in Manhattan vorherrscht. In der Bagelbäckerei, wo ich mir meinen Kaffee hole, werden alle, Kunden wie Personal, papi oder flaco oder hermano genannt - oder nach ihrem Herkunftsland bezeichnet. Ganz egal, ob man Spanisch versteht oder nicht. Um diese Zeit wird Spanisch gesprochen. So ist das. Der bengalische Ladenbesitzer, die paar amerikanischen Geschäftsleute im Anzug - jeder wird auf Spanisch angeredet. Spanisch sprechen diejenigen, die um diese Zeit schon auf und bei der Arbeit sind, ihnen gehört dieser Teil des Tages: Die Portiers der nahe gelegenen Apartmenthäuser, die Kindermädchen auf dem Weg zur Arbeit, die Bauarbeiter, die mal kurz Kaffee holen, die Tellerwäscher und Küchenhilfen, sie alle grüßen sich mit den vertrauten Spitznamen. Wenn sie jemanden nicht kennen, fragen sie auf Spanisch: »¿Que país?«
Es ist sieben Uhr morgens in den kalten, weiß gefliesten Kellerräumen des Le Bernardin in New York City. Auch hier wird Spanisch gesprochen. Justo Thomas betrachtet 350 Kilo Fisch. Styroporkisten mit Heilbutt, Weißem Thunfisch,
Wolfsbarsch, Goldmakrele, Red Snapper, Rochen, Kabeljau, Seeteufel und Lachs, größtenteils ungeschuppt und noch nicht ausgenommen, stapeln sich brusthoch in seinem winzigen Arbeitsraum.
»Wie sie gefangen wurden«, erklärt er - und meint, mit Schuppen und Gräten, wie Gott sie schuf, wie sie aus dem Meer kamen und wie man sie im Le Bernardin haben will. Glänzend, mit klaren Augen, rosa Kiemen, noch steif von der Totenstarre und nach nichts anderem als Meer riechend. Alle, die nicht im, aber für das Restaurant arbeiten - der ständige Strom von Lieferanten, die Kisten mit Wein, Gemüse, Langusten, Oktopus und andere Lebensmittel bringen -, nennen ihn »Primo« (der »Erste« oder »Nummer eins«). Das scheint Justo zu gefallen.
Das Le Bernardin ist wahrscheinlich das beste Fischrestaurant Amerikas. Es wird auf jeden Fall besonders gefeiert: drei Vier-Sterne-Bewertungen durch die New York Times in Folge, zweimal drei Michelin-Sterne, bestes Restaurant in New York laut Zagat, jede Ehrung, jede Auszeichnung, die man sich vorstellen kann, nach allen Maßstäben also das Beste der
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