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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Bourdain
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seine Tochter zu kaufen - und vielleicht ein Bier zu trinken. An einem perfekten Tag würde er mit seiner Frau tanzen. Ein Taxi würde sie dann abholen.
    Für heute hat er auch schon eins bestellt.
    Der erste Gang ist Thunfisch, ganz dünn geklopfter Gelbflossenthun, geschichtet mit Foie gras, dazu getoastetes Baguette. Justo leert begeistert seinen Teller - nachdem er den Thunfisch einer kritischen Musterung unterzogen hat. Er erkennt seine Arbeit, auch wenn die Köche die Scheiben geklopft haben, bis sie papierdünn sind. Das Gericht ist sehr beliebt - und Justo mag es gar nicht, wenn die Köche, falls sie einmal mehr Thunfisch brauchen, als er vorbereitet hat, seinen Arbeitsplatz nutzen. Zum Thunfisch trinken wir Gelben Muskateller vom steirischen Weingut Neumeister.
    »Mein Schneidebrett ist etwas Besonderes«, erklärt er.
    Justo kümmert sich im Le Bernardin nur um den Fisch. Die Austern, Langusten, Garnelen und Seeigel werden oben in der À-la-carte-Küche vorbereitet. Er hat zwar im Vorbeigehen die teuren kleinen Schachteln mit orangefarbenem Seeigelrogen gesehen, der säuberlich in geraden Reihen angeordnet
wurde, aber noch nie probiert. Wir bekommen jeweils eine stachlige Schale serviert, der Rogen auf einem Bett aus Jalapeño-Wasabi-Marmelade, gewürzt mit Seealgensalz - zubereitet à la minute von unserem Kellner, der die Seeigel mit einer Wakame-Orangen-Brühe übergießt.
    »Kasumi Tsuru, Yamahai Gingo«, sagt die Sommelière und serviert Justo Sake.
    »Köstlich«, sagt Justo und schließt die Augen. »Das ist wie … ein Traum. Ich will gar nicht aufwachen.«
    Der nächste Gang ist scharf angebratene Languste mit einem Salat aus Feldsalat, Wildpilzen, gehobelter Foie gras und einer Vinaigrette aus weißem Balsamico - eines der köstlichsten Gerichte, die ich mir je in den Mund geschoben habe. Klein, elegant, opulent, aber nicht übertrieben üppig.
    »Nach dem Essen will ich mir nie wieder die Zähne putzen«, scherzt Justo. Ich weiß genau, was er meint. Man will den Geschmack bewahren.
    Ab da verliere ich den Überblick über die Weine. Es gibt viele - und drei verschiedene Biere, glaube ich. Dann weitere Weine. Aber ich erinnere mich deutlich an einen Red Snapper unter der Bröselkruste mit Zucchini-Minze-Kompott. Dann ein außergewöhnlich guter gedämpfter Heilbutt mit gedünstetem Daikon-Rettich, Babyrettich und Rüben in einer Sesam-Court-Bouillon.
    »Erkennst du deine Arbeit wieder?«, frage ich. Ich deute auf die perfekten Rechtecke gleichmäßig geschnittenen Proteins auf unseren Tellern. Justo nickt nur und lächelt - mit einem sehr zufriedenen Gesichtsausdruck.
    Der letzte Hauptgang ist der kross gebratene Schwarze Sägebarsch mit gedünstetem Sellerie und Pastinakenflan in
einer Soße mit Jamón ibérico und grünem Pfeffer. Der Fisch, den Justo gar nicht gern verarbeitet - und bis zum Schluss aufhebt. Bei den Gästen erfreut sich der Fisch jedoch zunehmender Beliebtheit, also muss Justo immer mehr der arbeitsintensiven Biester ausnehmen, schuppen, filetieren, von den widerspenstigen kleinen Gräten befreien und dann in genau der richtigen Größe zuschneiden, damit die Haut kross wird, ohne dass der Fisch zu durch ist.
    Justo wirkt sehr zufrieden, als er seine Nemesis auf dem Teller betrachtet. Hoffentlich hat sich die viele Arbeit wirklich gelohnt.
    Ich blicke auf die großen Ölgemälde an den Wänden des Restaurants. Szenen mit Fischern und Hafenstädtchen in der Bretagne, der Heimat von Maguy Le Coze, die das Le Bernardin eröffnet hat und der es (zusammen mit ihrem Bruder Gilbert) gehört. Dort hat alles begonnen, von dort stammt die Inspiration für ein auf Fisch und Meeresfrüchte ausgerichtetes Restaurant. Ich frage mich, wie Justo die Bretagne gefallen würde - und ob er sie je sehen wird. Ich wünsche mir, dass er einmal dorthinreisen kann.
    Ich frage ihn, was er tun möchte, wenn er eines Tages in Rente geht, und er erzählt mir von den Dingen, die er auch sonst macht, wenn er in die alte Heimat reist. Meistens geht es um Reparaturarbeiten und andere Werkeleien. Aber was, wenn die Arbeit erledigt ist? Wenn alles … perfekt wäre?
    »Wenn ich mir vorstelle, alles wäre perfekt, dann würde ich wahrscheinlich krank werden«, sagt er. »Ich würde denken - was fehlt mir nur?«
    Was ist mir den Gästen im Le Bernardin, frage ich, und verweise auf die älteren Umsitzenden, die sich hier offensichtlich
wie zu Hause fühlen. Manche werden für eine einzige Flasche Wein zum Essen

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