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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Bourdain
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vierhundert Dollar ausmachte, war ein schwacher Trost. Nur dank der Kombination aus einer mietpreisgebundenen Wohnung, eines mieterfreundlichen Gerichts, das Räumungsklagen nur sehr schleppend verhandelte, und einer Frau, die sich mit Sozialhilfe auskannte, hatten wir ein Dach über dem Kopf. Und auch diese erstaunliche Glückssträhne konnte jeden Moment enden.
    Also hatte ich Angst. Große Angst. Ob bei Tag oder bei Nacht, wann immer ich über meine Situation nachdachte - und das war oft, denn ein verantwortungsbewusster Mensch mit einem Job und ohne Drogenprobleme denkt nun einmal
realistisch -, hatte ich Angst. Aus Angst wird schnell Wut - wie uns die Geschichte immer wieder gezeigt hat. Mich der »Realität« zu stellen, nachdem ich ein Leben lang alles daran gesetzt hatte, der Realität zu entfliehen, war nicht gerade angenehm. Ich konnte nicht zurück, dieser Weg war ein für alle Mal blockiert, ich kam aber auch nicht voran.
    Ich nahm kein Heroin mehr, ich nahm kein Methadon mehr, schnupfte kein Kokain mehr und rauchte kein Crack mehr - das soll man doch tun, das sagen einem doch alle, stimmt’s? Trotzdem war ich immer noch genauso pleite, hatte eine Scheißangst und befand mich in einer aussichtslosen Situation, aus der ich mich nie befreien würde (dachte ich).
    Deshalb war ich wütend. Sehr wütend.
    Ich war wütend auf meine Frau - stinkwütend, eine seit Langem schwelende, tief sitzende Wut, weil sie in all den Jahren kein einziges Mal gearbeitet hatte, nicht arbeiten konnte, nicht arbeiten wollte. Körperlich fit, clever, mit einem Abschluss an einem berühmten Frauencollege, Büroerfahrung … und trotzdem hatte sie vor langer Zeit aufgegeben, sich überhaupt nach einem Job umzusehen. Nach einem vielversprechenden Anfang hatte sie fast zwei Jahrzehnte lang nur ein paar befristete Teilzeitjobs gehabt, hatte für einen Minilohn Bücher eingeräumt oder Hauspost sortiert. Das ergab für mich keinen Sinn, es verbitterte mich. Genauer gesagt fraß es mich auf, eine schwelende, kaum unterdrückte, passiv-aggressive Wut, die alles vergiftet. Was die Lage natürlich auch nicht gerade verbesserte. Mit dieser Wut aufzustehen und ins Bett zu gehen - und die Art, wie ich damit umging - ruinierte alles. Ich konnte einfach nicht darüber hinwegkommen. Ich kam nicht darüber hinweg.
Und ich machte durch mein furchtbares, klischeehaftes Verhalten alles nur noch schlimmer, viel schlimmer. Unterstreichen Sie diesen Satz.
    Als »Partners in Crime« waren wir ein großartiges Paar (zumindest ich sah das so). Als solide Bürger? Keiner von uns beiden schien zu wissen, wie man ein anständiges Leben führt.
    Ich war auch wütend, weil all meine Träume, die ich schon als kleiner Junge gehabt hatte, von Reisen und Abenteuern in fernen Ländern, niemals wahr werden würden - als Erwachsener würde ich nie Paris oder Vietnam oder den Südpazifik oder Indien sehen, ja noch nicht einmal Rom. Aus meiner Sicht (hinter dem Herd in der Küche des Les Halles) war das vollkommen klar. Um ehrlich zu sein, wurde ich noch wütender, als mich mein Chef Philippe für eine Woche als Berater in unsere Filiale nach Tokio schickte, denn da wusste ich erst so richtig, was mir fehlte. Wer das Glück hat, nach Asien zu reisen, weiß, wovon ich spreche: Es war so ziemlich alles. Als ob jemand eine fantastische, supertolle und exotische Büchse der Pandora geöffnet hätte, mir einen kurzen Blick gewährt hätte, einen Blick in eine andere Dimension, in ein anderes Leben, und mir dann den Deckel vor der Nase zugeschlagen hätte.
    Ich bin mir sicher, dass viele geschiedene Männer mittleren Alters eine betrunkene Knutscherei mit einem weiblichen Croupier mit ähnlich schwelgerischen, wenn nicht sogar apokalyptischen Begriffen beschreiben würden. Und die »Erweckungserlebnisse«, die ich in Asien hatte, waren alle schon Thema nicht sonderlich guter Filme. Ich kann nur sagen, nachdem ich durch die unverständlich »fremden«
Straßen Asiens gestolpert war, umgeben von Menschen, deren Sprache ich nie beherrschen würde, die Nase voller seltsamer und wunderbarer Gerüche, die Augen bei allem, was ich sah, vor Staunen weit aufgerissen, und nachdem ich Köstlichkeiten gegessen hatte, von denen ich noch nicht einmal geträumt hatte, tja, da war mein Schicksal besiegelt. Ich hätte praktisch alles getan, um mehr davon zu erleben. (Nicht dass jemand mir das angeboten hätte.) Tief in meinem Innern wusste ich auch, dass ich das mit niemandem teilen wollte.

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