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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Bourdain
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nebeneinander in der Schale arrangiert hat. Ganz selten spürt er eine Gräte, die er beim ersten Durchgang übersehen hat, und zieht sie heraus. Auf dem Teller landen später immer zwei Tranchen Lachs. Wie die Portionen so in der Schale arrangiert sind, nebeneinander, immer in die gleiche Richtung weisend, sehen sie aus wie kleine rosa Fische, die flussaufwärts schwimmen,
identische Wirbel von Fett ziehen sich durch ihr Fleisch, ein schöner Anblick, dessen Gleichmäßigkeit einem fast den Atem nimmt.
    Um fünf vor halb elf ist der Lachs auf dem Weg nach oben.
    Ein junger Koch sieht mich und fragt eifrig: »Haben Sie gesehen, wie er die Gräten rauszieht?«
    »Ja«, sage ich und nicke, »ja, das habe ich.«
    »Als ich das zum ersten Mal hörte, dachte ich, er würde mit dem Fuß wippen«, sagt der Koch.
    Justo nimmt den ersten von acht Wolfsbarschen aus der Kiste. Dazu gräbt er Daumen und Mittelfinger tief in die Augenhöhlen des Fisches, dem üblichen Griff der Fischer, die einfach zwei Finger hinter die Kiemen schieben, traut er nicht. Um Viertel vor elf sind die Wolfsbarsche auf dem Weg nach oben. Dann kommen zwölf Red Snapper an die Reihe. Er braucht zehn Minuten, um die Filets von der Mittelgräte zu lösen und die Haut abzuziehen. Wieder werden die linken Seiten auf einen Stapel, die rechten Seiten auf einen anderen Stapel gelegt. Er zeigt mir, warum: Wenn er die rechten Seiten säubert, zieht er das Messer immer in die gleiche Richtung, um die Membran und den Bauchlappen zu entfernen; bei den linken Seiten führt er das Messer in die entgegengesetzte Richtung. Indem Justo den Fisch so sortiert, spart er Zeit und unnötige Handgriffe.
    Etwa eine halbe Stunde später ist der Snapper fertig. Übrig bleibt eine Riesenmenge Schwarzer Sägebarsch (den Justo am wenigsten mag). Er ist am schwersten vorzubereiten, was man leicht erkennen kann: Anders als der meiste Fisch, der geliefert wird, landet er nicht nur samt Eingeweide
hier und hat harte Schuppen, sondern auch noch zahlreiche unangenehm aussehende und extrem gefährliche Stacheln.
    Fernando kommt herein und bringt Justos Mittagessen: Das Personalessen ist ein ziemlich trist wirkender Teller mit Geflügelsalat, grünem Salat, einer Kartoffel und einem Brötchen. Der Teller ist mit Plastikfolie abgedeckt und wird von Fernando unaufgefordert unter Justos Arbeitstisch gestellt - als ob durch jahrelange Routine und Praxis unumstößlich festgelegt wäre, dass Justo erst isst, wenn er seine Arbeit beendet hat.
    Er hat sich das Schlimmste bis zum Schluss aufgehoben. Im Le Bernardin wird der Fisch ohne Haut serviert, die einzige Ausnahme ist der Schwarze Sägebarsch. Seine Haut ist ein wichtiger Bestandteil des Gerichts, weil ihre Textur und ihr Geschmack es wirkungsvoll ergänzen - außerdem sieht es cool aus. Bei anderen Fischen genügt es, die Schuppen einigermaßen zu entfernen, weil man weiß, dass die übrigen Schuppen ohnehin mit der Haut abgezogen werden. Doch hier ist es anders. Jede einzelne Schuppe muss sorgfältig ins Ausgussbecken gekratzt werden - weg vom Arbeitsbrett. Justo weiß nur allzu gut, dass die transparenten Schuppen durch den ganzen Raum fliegen und unerkannt am hellen Fleisch des Fisches haften bleiben können. Eine transparente Schuppe, die noch an einem Stückchen Fisch klebt? Nicht auszudenken. Also muss er alle sorgfältig abschuppen - schnell natürlich, und dabei die langen und extrem gemeinen Stacheln meiden, die seinen Handschuh durchbohren und ihm eine schmerzhafte Wunde zufügen können, die sich sofort entzünden würde. Dann den Fisch filetieren, die
Gräten herausziehen (die noch kniffliger zu finden und zu entfernen sind als beim Lachs), die Filets zuschneiden und portionieren. Für Justo ist es enorm wichtig, beim Portionieren an die Garmethode und das beabsichtigte Resultat zu denken: ein noch leicht glasiges, gleichmäßig gegartes Stück Fisch mit einer sehr knusprigen Haut. Wenn das Stück zu klein ist, ist das Fleisch, wenn die Haut kross ist, bereits zu trocken. Und wie es in der Natur nun einmal ist, gleicht kein Fisch dem anderen, und die optimale Größe ist nicht immer verfügbar. Dann liegt es an Justo, den Fisch richtig zu portionieren.
    Es ist zehn nach zwölf. Justo Thomas hat 350 Kilo Fisch gesäubert und portioniert. Er schneidet ein Stück Karton zurecht und kratzt damit die Schuppen aus dem Ausguss. Er spritzt beide Becken aus, spült seine Messer und wischt die Waage und alle Oberflächen sauber. Er zieht

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