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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Bourdain
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der Kopf, den du abgedreht hast. Du führst ihn zum Mund, saugst die Suppe aus heißem Hirn heraus, drückst ihn aus wie eine Zahnpastatube. Einen Moment lang herrscht völlige Stille, dann hörst du leise von den Bergen her das Blöken der Schafe. Der Mann lächelt zufrieden, weil du seine Garnelen zu würdigen weißt. Er hat noch etwas anderes für dich. Er schaufelt glühende Kohlen aus einem der Holzöfen, gibt sie unter seinen Eigenbaugrill, senkt den Rost auf die niedrigste Stufe und fächelt Luft in die Glut. Er holt noch ein selbst gebautes Utensil hervor, eine Art Bratpfanne, die wohl am ehesten einem Sieb gleicht, und sprüht sie dick mit Öl ein. Er erhitzt sie ein paar Sekunden lang über der glühenden Kohle, gibt dann schnell - schnell, aber vorsichtig - winzige durchscheinende
junge Aale hinein und streut ein paar Salzkörnchen darüber, während er sie ein-, zweimal in der Pfanne hüpfen lässt. Nach wenigen Sekunden hat er sie schon wieder vom Feuer genommen und in eine Schüssel gegeben. Das sind, und das weißt du zu schätzen, Gottes erlesenste essbare Geschöpfe (zumal in dieser Jahreszeit). Jeder der Glasaale, dünn wie Linguine, ist den weiten Weg von der Sargassosee und den Fluss hinauf nach Nordspanien geschwommen - nur um hier lebend gefangen zu werden. Der Mann hat sie erst vor wenigen Minuten getötet, mit Tabak vergiftet. In den zwei oder drei Wochen, in denen man Glasaale bekommt (in dem unwahrscheinlichen Fall, dass man überhaupt welche ergattert), bringen sie über tausend Dollar pro Kilogramm ein. Sie werden kaum gegart, das ist auch nicht nötig. Auf eine Gabel gedreht und in den Mund geschoben, flüstern sie dir ihre Geheimnisse zu. Dies, so schärfst du dir ein, ist ein Geschmackserlebnis, über das man besser kein Wort verliert.
     
    Der Sichuan-Feuertopf offenbart dir deine dunkelsten Seiten. Du blickst dich um im überfüllten, grell erleuchteten Speisesaal in Chengdu und siehst Menschen, die sich den Nacken mit einer kühlen Serviette abwischen, das rote Gesicht schmerzverzerrt. Manche halten sich den Bauch. Doch sie essen weiter, wie du, tauchen Essstäbchen mit Innereien, Fischklößchen und Gemüse in riesige Woks, die gefüllt sind mit dunklem, unheilvoll aussehendem Öl. Es ist, als ob die Spankingmaschine in dem viktorianischen Bordell in London, von dem du gelesen hast, vierzig Kunden auf einmal den Hintern versohlen könnte. Diese Art von einvernehmlicher
Perversion liegt hier in der Luft. Als einte alle, die hier sind und die sich gar nicht kennen, ein unwiderstehlicher Zwang. Im Wok kocht und blubbert es wie in einem Hexenkessel, ein dunkles, rötlich-braunes Destillat aus irrsinnigen Mengen getrockneter Sichuan-Chilis, die aufsteigen und absinken. Das Öl köchelt ein, wird minütlich weniger und damit immer stärker. Du ziehst ein Stück Kutteln durchs Öl. Es verschwindet unter der Oberfläche, wo es schrumpft, hart wird wie eine erregte Brustwarze, und dann nimmst du es aus der Höllenbrühe und schiebst es dir in den Mund. Die Schärfe der getrockneten Chilischoten reißt dich fast von den Socken - aber da ist noch etwas anderes. Die winzigen Samenkapseln des Sichuanpfeffers, die mit ihren aggressiveren Chili-Cousins im Öl schwimmen, haben eine schaurig betäubende Wirkung, erst auf die Zunge, dann auf den ganzen Kopf. Da ist wieder die mittlerweile vertraute florale Note, die man in diesem Teil Chinas überall riecht. Jetzt wirkt sie stark, eilt zu Hilfe, lindert wie ein Eiswürfel, der auf eine Verletzung gelegt wird, den Schmerz und die Verbrennung durch die scharfe Chili, viel mehr Chili, als ein Mensch vernünftigerweise ertragen kann und sollte. Während dein Hemd vom Schweiß getränkt wird und du dem Drang widerstehst, dich vor Schmerzen zu krümmen, verstehst du allmählich.
    Schmerz, gefolgt von Linderung.
    Verbrennung, gefolgt von einer angenehmen, narkotisierenden Taubheit. Es ist, als würdest du gleichzeitig geschlagen und geleckt. In den vielen Jahren, die du auf diesem Planeten verbracht, wie du glaubst, ein pralles, reiches Leben geführt hast, dachtest du, so etwas wäre nichts für dich.
Der Film 9 1/2 Wochen ließ dich völlig ungerührt. Nie in deinem jugendlichen Leichtsinn hätte dich das Angebot eines auch nur spielerischen Sadismus interessiert - und wenn die Person, die es dir unterbreitet hätte, ein deutsches Supermodell im pofreien Latexbody gewesen wäre.
    Schmerz, dachtest du, ist immer etwas Schlechtes.
    Genuss ist gut.
    Bis

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