Ein bißchen Single - und andere bühnenreife Vorstellungen
Gitarrenspieler, der sich auf dem Bahnsteig für ein paar lumpige Dollar die Seele aus dem Leib spielte, deprimierte mich nicht so wie sonst. Ich stellte fest, dass er
glücklich
war, so wie er an den Saiten zupfte und lächelte und sang, als ob sein Leben davon abhinge.
Das sind meine Leute
, dachte ich zum zweiten Mal in zwei Tagen. Wozu brauchte ich die Stevenses und ihre verzerrte Sicht von der Welt, oder selbst Viveca, mir ihrer verzerrten Sicht von mir?
Ich
war
auf dem Weg zu meinem Glück – nur diesmal saß ich am Steuer.
Als ich im Studio ankam, absolvierte ich die Übungen mit größtem Eifer. Ich brüllte wie ein Löwe, sang wie ein Vogel (okay, wir hatten wieder dieses Dschungel-Segment dabei, aber ich war trotzdem großartig).
Als ich mich von Colin verabschiedete, fragte er: „Heute kein Frühstück?“
„Nicht heute, Sweetie“. Heute hatte ich anderes zu tun. Nämlich meinen Traum zu verfolgen.
Auf dem Heimweg kaufte ich eine Ausgabe von
Backstage
. Und dann ging ich wie früher in ein kleines Internetcafé, das nur wenige Straßen von meiner Wohnung entfernt lag. Nachdem ich den größten Café Latte bestellt hatte, den es gab, machte ich es mir auf einem der abgewetzten Stühle am Fenster bequem und suchte nach Angeboten.
Ich muss zugeben, dass ich fast den Mut verlor, als ich Anzeige um Anzeige las, und keine auf mich zutraf. Ich schlürfte weiter meinen Latte, als mein Blick an einer Anzeige hängen blieb, die extra für mich geschrieben worden zu sein schien.
All For Love, preisgekrönter Regisseur sucht Schauspielerin, 25–32
, (das bin ich!),
gerne lateinamerikanisch, für einen Spielfilm über eine Frau, die alles für den Mann opfert, den sie liebt
(nun, es konnte ja nicht alles perfekt sein),
der im Oktober in Maine gedreht wird
. (Das war zwar nicht Massachusetts, aber immerhin nah genug, dass mir die Ironie nicht entging.)
Castings waren für Ende der Woche anberaumt!
Das war ein Zeichen. Definitiv ein Zeichen. Diese Anzeige war genau auf Angela DiFranco, Lebensgefährtin dritten Grades, zugeschnitten. Ich markierte sie, und da ich schon mal dabei war, ging ich die Liste auch noch nach Agenturen durch. Ich fand etwa zwölf, die bereit waren, Fotos und Videokassetten anzusehen und markierte sie ebenfalls. Schließlich konnte ich nicht alle Hoffnung auf ein einziges Casting setzen. Genauso wenig, wie ich alle Hoffnung auf einen einzigen Mann setzen konnte …
Nachdem ich eine recht beträchtliche Liste zusammengestellt hatte, kaufte ich im Schreibwarengeschäft Umschläge und Papier für den Lebenslauf und eilte nach Hause, um mich an die Arbeit zu machen. Es waren nicht weniger als zehn Briefumschläge, die ich an diesem Nachmittag auf meinem Weg zu
Lee and Laurie
in den Briefkasten warf. Ich gebe gerne zu, dass ich dabei ein wenig Furcht verspürte, wegen der Ablehnungen, die diese Postsendungen vielleicht nach sich ziehen würden, aber mich konnte nichts mehr aufhalten.
Ich war recht erleichtert, dass Kirk nach Chicago flog, denn aus irgendeinem Grund wollte ich ihm nichts von meinem neu entdeckten Ehrgeiz erzählen. Vielleicht fürchtete ich, dass es nicht klappen würde, wenn ich zu viel über die Möglichkeiten sprach, die jetzt vor mir lagen. Oder dass er die Möglichkeiten gar nicht sehen würde. Denn als er mich am Abend vor seinem Abflug anrief, sagte er: „Und melde dich auf jeden Fall, wenn es was Neues wegen deines Vertrags gibt.“
Mhm, dachte ich. In der Sekunde, in der wir aufgelegt hatten, schlug ich sofort mein Monologbuch auf und beschäftigte mich mit einer Szene, die ich ziemlich gut drauf hatte. Ich arbeitete Tag und Nacht, um für den Freitag gut vorbereitet zu sein. Die Woche ging so schnell vorüber, dass mir Kirks Abwesenheit kaum auffiel. Justin teilte meine Begeisterung und filmte mich mit seiner Digitalkamera. Danach setzten wir uns zusammen und besprachen, was ich noch verbessern konnte. Zugegebenermaßen machte ich mir nach wie vor Sogen um Justin, weil er sein Leben noch nicht wieder in die Hand genommen hatte. Wahrscheinlich befand er sich noch in der Genesungsphase, obwohl er den Namen Lauren so gut wie nie erwähnte. So gehen Männer eben mit Problemen um – indem sie einfach nicht darüber sprechen.
Ich jedenfalls war beflügelt. Endlich hatte ich wieder das Gefühl, lebendig zu sein. Ich wusste es von dem Augenblick an, in dem ich begann, die Monologe zu üben, und ich
fühlte
es zum ersten Mal richtig, als ich dem Castingchef für
All
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