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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sich langsam, und im Türrahmen erschien ein
Puppentheater. Stille herrschte. Plötzlich sprang Hanswurst hinter der Kulisse mit einem lauten
»Quiek« hervor, so wild und unbändig, daß einer der kleinen Jungen
mit einem erschreckten Ruf antwortete. Es war eins jener gräßlichen
Stücke, in welchen Hanswurst, nachdem er den Polizisten genasführt
hat, den Schutzmann umbringt und in toller Lustigkeit alle
göttlichen und menschlichen Gesetze mit Füßen tritt. Bei jedem
Stockhieb, der die hölzernen Köpfe spaltete, stieß das
unerbittliche Publikum helles Gelächter aus. Die Mädchen klatschten
und die Jungen lachten mit offenem Munde.
    »Das macht ihnen Spaß!« flüsterte der Doktor.
    Er hatte seinen Platz neben Helene gewählt, die nicht minder
lustig als die Kinder war. Und er, hinter ihr sitzend, berauschte
sich an dem Dufte ihres Haares. Bei einem Stockschlage, der
besonders kräftig und laut ausfiel, drehte er sich herum und
sagte:
    »Das ist wirklich gar zu drollig!«
    Jetzt mischten sich die aufgeregten Kinder in das Stück. Sie
gaben den Schauspielern Antworten. Ein Mädchen, welches das Stück
kennen mochte, erklärte, was nun an die Reihe kommen würde …
»Jetzt wird er seine Frau totmachen … jetzt wird man ihn
aufhängen … « Die kleine Levasseur, die jüngste, die kaum zwei
Jahre war, rief plötzlich:
    »Mama! man sollte ihm bloß trocken Brot zu essen geben!«
    Und dann hagelte es gute Ratschläge. Unterdessen suchte Helene
unter den Kindern.
    »Ich sehe Jeanne nicht. Ob sie sich amüsiert?«
    Da neigte sich der Doktor, legte den Kopf neben den ihren und
flüsterte:
    »Dort unten steht sie, zwischen dem Harlekin
und der Normannin – sehen Sie die Nadeln ihrer Frisur? Sie lacht
aus vollem Herzen.«
    So blieb er gebeugt und fühlte die laue Wärme von Helenes
Gesicht an seiner Wange. Bis zu diesem Augenblick war ihnen kein
Geständnis entschlüpft; dies Stillschweigen beließ sie in jener
Vertraulichkeit, die durch eine unbestimmte Verwirrung seit einiger
Zeit getrübt war. Aber inmitten dieses reizenden Lachens,
angesichts dieser Buben und Mädchen, wurde Helene wieder zum Kinde
und ließ sich gehen, während der Atem Henris ihren Nacken fächelte.
Die dumpfen Stockschläge des Hanswursts ließen sie wohlig
erschauern, und sie wandte sich mit leuchtenden Augen um.
    »Ach Gott! wie drollig das ist! Ei! wie sie zuschlagen!«
    Er antwortete leise:
    »Oh! die haben auch entsprechend dicke Holzköpfe.«
    Das war alles, was ihr Herz fand. Sie wurden beide wieder zu
Kindern. Das wenig vorbildliche Leben Hanswursts ermüdete. Und bei
der Lösung des Dramas, als der Teufel erschien und es eine
gewaltige Prügelei und ein allgemeines Abwürgen setzte, drückte
Helene die auf der Lehne ihres Stuhles ruhende Hand Henris, während
das schreiende und in die Hände klatschende Kinderparterre in
Ekstase die Stühle bearbeitete.
    Der Vorhang war gefallen. Da meldete Pauline mitten im Getöse
Herrn Malignon mit der ihr zur Gewohnheit gewordenen Redensart:
    »Da ist der schöne Malignon!«
    Er kam außer Atem, die Stühle über den Haufen rennend.
    »Nein! ist das eine Idee, alles zugeschlossen
zu halten!« rief er erstaunt stehenbleibend. »… Man könnte meinen,
man käme in ein Totenhaus.«
    Und sich nach Frau Deberle umwendend:
    »Sie können sich rühmen, mich in Trab gebracht zu haben! Vom
frühen Morgen an suche ich Perdiguet, meinen Komiker. Sie wissen
doch … Nun, da ich seiner nicht habe habhaft werden können,
bringe ich Ihnen den langen Morigot … «
    Der lange Morigot war ein Dilletant, der die Salons mit
Taschenspielerkünsten unterhielt. Man wies ihm ein Tischchen an; er
brachte seine hübschesten Nummern, konnte aber seine kleinen
Zuschauer nicht fesseln. Die Kleinen langweilten sich bald;
Hosenmätze schliefen, an den Fingern lutschend, ein. Andere,
größere, drehten den Kopf, lächelten den Eltern zu, die selbst mit
Zurückhaltung gähnten. So wurde es allgemein als Erleichterung
empfunden, als der lange Morigot sich endlich entschloß, seine
Siebensachen zu packen.
    »Oh! er ist in seinem Fache sehr tüchtig,« flüsterte Malignon
Frau Deberle zu.
    Der rote Vorhang hatte sich von neuem geteilt, und ein magisches
Schauspiel hatte alle Kinder auf die Beine gebracht.
    Unter dem hellen Licht der Krone und der beiden zehnarmigen
Leuchter dehnte sich der Eßsaal mit seinem langen, wie für ein
großes Essen gedeckten und geschmückten Tische. Es lagen fünfzig
Gedecke auf. In der Mitte und

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