Ein Blatt Liebe
du nicht
fällst… Beeile dich; o sieh! da kommt sie – ach! sie sieht
wunderhübsch aus!«
Ein Flüstern war durch den Saal gegangen, Köpfe reckten sich.
Jeanne war auf der Schwelle des ersten Salons stehengeblieben,
während ihre Mutter noch im Treppenhause den Mantel ablegte. Das
Kind trug ein wunderbares exotisches Japan-Kostüm. Das mit Blumen
und fremdartigen Vögeln bestickte Kleid fiel bis auf die Füßchen,
während unter dem breiten Gürtel die fächerartig abstehenden Schöße
einen Rock von grünlicher mit Gelb moirierter Seide sehen
ließen.
Von fremdartigem Reiz war ihr feines Gesicht unter dem hohen,
mit langen Nadeln gehaltenen Haarschopf, mit dem länglichen Kinn
und den schmalen, leuchtenden Ziegenaugen.
Alles dies trug dazu bei, Jeanne das Aussehen einer echten
Tochter Nippons zu geben, die in einem Wohlgeruch von Benzoe und
Tee einherwandelt. Und zaudernd mit der Sehnsucht einer exotischen
Blume, die von ihrem Heimatlande träumt, blieb sie stehen.
Hinter ihr erschien Helene. Da sie plötzlich aus dem fahlen
Tageslicht der Straße in diesen hellen Kerzenschein traten,
blinzelten beide. Der warme Dunst und der im Salon vorherrschende
Veilchenduft wirkten beklemmend und röteten ihre frischen Wangen.
Jeder eintretende Gast zeigte die nämliche Miene des Erstaunens und
Zauderns. »Nun, Lucien?« mahnte Frau
Deberle.
Der Junge hatte Jeanne nicht bemerkt. Jetzt beeilte er sich,
reichte der Freundin den Arm, vergaß aber seine Verbeugung. Beide
waren so zart und sanft, der kleine Marquis mit seinem Frack voll
Sträußchen und die Japanerin mit ihrem gestickten Purpurgewand, daß
man sie für lebende Porzellanfiguren halten konnte.
»Du weißt doch, ich habe auf dich gewartet,« sagte Lucien leise.
»Das ewige Armgeben macht mich ganz dumm – nicht wahr? Wir bleiben
doch zusammen?«
Und damit setzte er sich mit ihr auf die erste Stuhlreihe. Seine
Pflichten als Hausherr hatte er ganz und gar vergessen.
»Wirklich, ich war schon voll Unruhe,« sagte Juliette zu Helene.
»Ich fürchtete schon, daß Jeanne krank wäre.«
Helene entschuldigte sich, mit Kindern sei kein Fertigwerden.
Sie stand noch inmitten einer Gruppe von Damen, als sie spürte, daß
der Doktor hinter sie trat. Er war soeben gekommen. Er hatte den
roten Vorhang gehoben, um noch eine Anweisung zu geben.
Plötzlich blieb er stehen. Auch er erriet die junge Frau, die
sich nicht einmal umgewandt hatte. In einer schwarzen Grenadierrobe
wäre sie ihm niemals königlicher erschienen.
Deberle sog den Duft der Frische ein, die sie von draußen
hereingebracht und die von ihren Schultern und ihren nackten Armen
unter dem durchsichtigen Stoffe zu atmen schien,
»Henri sieht niemand,« sagte Pauline lachend. »Ei, guten Tag,
Henri!«
Der Doktor begrüßte die Damen. Fräulein Aurélie hielt ihn einen
Augenblick fest, ihm einen Neffen vorzustellen, den sie mitgebracht
hatte. Er blieb gefällig, wie immer,
stehen. Helene reichte ihm wortlos ihre mit schwarzem Handschuh
bekleidete Hand, die er nur zart zu berühren wagte.
»Wie! da bist du!« rief Frau Deberle. »Ich suche dich überall;
es ist beinahe drei Uhr … man sollte endlich anfangen.«
Der Saal hatte sich gefüllt. Rings an der Wand bildeten unter
dem hellen Lichte eines Leuchters die Eltern mit ihren
Stadttoiletten einen ersten Rand. In der Mitte des Raumes bewegte
sich die kleine lärmende Gesellschaft. Es waren fast fünfzig
Kinder, in der buntscheckigen Heiterkeit ihrer hellen Kostüme,
unter denen Blau und Rosa vorherrschten. Manchmal wandte sich in
dem Gewirr von Bändern und Spitzen, von Samt und Seide ein Gesicht,
ein rosiges Näschen, zwei blaue Augen, ein lachender oder
schmollender Mund. Da waren auch die Kleinen, nicht größer als ein
Schaftstiefel, die sich zwischen zehnjährige Burschen mengten und
von den Müttern aus der Ferne vergeblich gesucht wurden. Manche
Knaben blieben linkisch neben Mädchen stehen, die sich mit dem
Rauschen ihrer Gewänder vergnügten. Andere zeigten sich schon sehr
unternehmend, stießen Nachbarinnen, die sie nicht kannten, mit den
Ellenbogen und lachten ihnen aufmunternd ins Gesicht. Aber die
kleinen Mädchen blieben die Königinnen. In Gruppen zu drei oder
vier Freundinnen rumorten sie auf den Stühlen herum und plapperten
so laut, daß man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte. Aller
Augen waren auf den roten Vorhang gerichtet.
»Achtung!« rief der Doktor, dreimal an die Türe des Eßzimmers
klopfend.
Der Vorhang öffnete
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