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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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lassen.
    Unter diesem Blick, der ihm die Worte auf die Lippen nagelte,
mußte er schweigen. Einen Augenblick noch blieb er, die Hände an
die Schläfen führend. Dann entfernte er sich, während sie so tat,
als nehme sie ihre Arbeit wieder auf. Der Reiz dieser süßen
Nachmittage war zerstört. Es änderte nichts, daß er sich andern
Tages zartfühlend und zurückhaltend zeigte. Helene schien es
unbehaglich, sobald sie mit ihm allein war. Es war nicht mehr jene
gute Vertraulichkeit, jenes hohe Vertrauen, welches ihnen das
Beisammensein ohne Verlegenheit, nur mit der lauteren Freude sich
zu sehen, gestattete. Trotz der Sorgfalt, mit der er sich hütete,
sie zu erschrecken, sah er sie manchmal rot werdend an. Zorn und
Sehnsucht schienen in ihm geweckt. Auch Helene hatte ihre Ruhe
verloren; sie bebte innerlich und hielt die Hände oft müde und
unbeschäftigt im Schoß.
    Es kam dahin, daß sie Jeanne nicht mehr fortzugehen erlaubte.
Der Doktor fand ständig zwischen ihr und sich diesen Zeugen, der
ihn mit seinen großen schimmernden Augen überwachte. Aber worunter
Helene besonders litt, war die Verlegenheit, die sie jetzt
plötzlich Frau Deberle gegenüber fühlte.

Kapitel 8
     
    Im Treppenhause der kleinen Villa stand Peter in Frack und
weißer Halsbinde und öffnete bei jedem Wagengeräusch die Tür. Ein
Strom feuchter Luft drang herein, ein gelber Schein des
regnerischen Aprilnachmittags erhellte das rege, mit Portieren und
grünen Pflanzen gefüllte Treppenhaus. Es war zwei Uhr; der Tag
verfinsterte sich wie an einem trüben Wintertage.
    Sobald der Diener die Tür zum ersten Salon aufstieß, blendete
die Gäste festliche Helle. Man hatte die Jalousien geschlossen und
sorgsam die Vorhänge zugezogen. Kein Licht vom fahlen Himmel drang
hindurch, und die auf die Möbel gestellten Lampen, die im
Kronleuchter brennenden Kerzen und die Kristallämpchen erleuchteten
dort eine feurige Kapelle.
    Unterdessen begannen die Kinder zu erscheinen, während Pauline
geschäftig vor der Türe zum Eßzimmer Stuhlreihen aufstellen ließ.
Man hatte die Tür ausgehoben und durch einen roten Vorhang
ersetzt.
    »Papa!« rief sie, »hilf doch ein wenig mit; wir werden ja im
Leben nicht fertig.«
    Herr Letellier, der, die Hände auf dem Rücken verschränkt, den
Kronleuchter musterte, beeilte sich. Pauline selbst trug Stühle
herbei. Sie war ihrer Schwester zu Willen gewesen und hatte ein
weißes Kleid angelegt. Bloß ihr Mieder war viereckig ausgeschnitten
und ließ den Hals frei.
    »So! nun sind wir so weit,« schwatzte sie
wieder, »nun können die Herrschaften kommen. Aber was denkt sich
denn Juliette? Sie wird mit Luciens Anzug nicht fertig!«
    Jetzt führte Frau Deberle den kleinen Marquis herein. Alle
Anwesenden ließen bewundernde Rufe hören. Ach! war das ein netter,
kleiner Herr im mit Blumensträußchen besteckten weißen Atlasfrack,
mit der großen goldgestickten Weste und den kirschroten
Seidenhöschen! Sein zartes Kinn und die kleinen Händchen versanken
schier in der Spitzenflut. Ein Spielzeugdegen mit einer großen rosa
Schleife schlug ihm um die Beine.
    »Vorwärts, begrüß deine Gäste!« mahnte die Mutter und führte ihn
ins erste Zimmer.
    Seit acht Uhr wiederholte Lucien seine Aufgabe. Nun stellte er
sich kavaliermäßig in Positur, drückte die Waden heraus, warf den
gepuderten Kopf zurück und schob den Dreimaster unter den linken
Arm. Jeder eintretenden kleinen Dame machte er eine Verbeugung, bot
ihr den Arm, verneigte sich und trat zurück. Man lachte über
solchen Ernst, dem ein wenig Keckheit beigemischt war. So führte er
Marguerite Tissot, ein Mädchen von fünf Jahren, die das köstliche
Kostüm eines Milchmädchens trug, und der am Gürtel ein Milchkrug
baumelte; die beiden kleinen Berthier, Blanche und Sophie, waren
als Theaterdamen erschienen. Er wagte sich sogar an Valentine de
Chermette, einen stattlichen Backfisch von vierzehn Jahren, die von
ihrer Mutter immer als Spanierin gekleidet wurde. Aber seine
Verlegenheit stieg angesichts der aus fünf Fräulein bestehenden
Familie Levasseur, die sich der Größe nach vorstellten. Die jüngste
war kaum zwei, die älteste zehn. Alle waren als Rotkäppchen
gekleidet. Tapfer entschied sich Lucien, warf seinen
Hut fort, nahm die beiden größten an den
rechten und den linken Arm und schritt, gefolgt von den anderen, in
den Salon. Als er seine Mutter sah, fragte er, sich in die Höhe
reckend:
    »Und Jeanne?«
    »Sie wird kommen, Liebling! Gib nur recht acht, daß

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