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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Knirpse zu, damit auch sie das Vergnügen hätten, ein paar
Augenblicke im Saale herumzuhüpfen. Der Ball erreichte den
Höhepunkt. Die Tänzer machten ihrer Freude Luft, lachten und
schubsten sich wie in einer Schulklasse, die plötzlich in
Abwesenheit des Lehrers von toller Freude gepackt wird. Es war
wirklich der Galaabend eines Feenmärchens …
    »Man erstickt hier,« sagte Malignon, »ich muß an die frische
Luft.«
    Er ging, die Tür des Salons weit öffnend, hinaus. Das volle
Tageslicht drang mit blassem Lichtschimmer, der den Glanz der
Lampen und Kerzen trübte, von der Straße herein. Und alle
Viertelstunden riß nun Malignon die Türen auf.
    Das Klavier setzte nicht aus. Die kleine Guiraud mit ihrer
schwarzen Elsaßschleife auf dem blonden Haar tanzte am Arm eines
Harlekin, der zwei Kopf größer war als sie selbst. Ein Schotte
schwenkte Marguerite Tissot so geschwind herum, daß sie ihre
Milchkanne verlor. Die beiden unzertrennlichen Fräulein Berthier,
Blanche und Sophie, hüpften zusammen umher, während ihre Schellen
lustig klingelten. Und immer sah man im Trubel ein Fräulein Levasseur; die Rotkäppchen schienen sich
zu vervielfältigen; überall sah man Federbüsche und roten Atlas mit
schwarzen Samtstreifen.
    »Ich kann nicht mehr,« keuchte Helene, die sich eben an die Tür
des Eßzimmers gelehnt hatte.
    Sie wehte sich, vom Tanze inmitten des kleinen Volks erhitzt,
mit dem Fächer Kühlung zu. Und auf ihren Schultern verspürte sie
den Atem Henris, der immer noch hinter ihr stand. Da wußte sie, daß
er sprechen wollte, hatte aber nicht mehr die Kraft, seinem
Geständnis zu entschlüpfen. Er näherte sich – er flüsterte leise,
sehr leise in ihr Haar hinein:
    »Ich liebe Sie! Oh! ich liebe Sie!«
    Es war wie ein Gluthauch, der sie vom Kopf bis zu den Füßen
versengte. Gott im Himmel! Henri hatte gesprochen. Nun würde sie
nicht mehr den süßen Frieden der Unwissenheit heucheln können. Sie
verbarg ihr blutübergossenes Gesicht hinter dem Fächer. Die Kinder
klappten in der letzten Quadrille stärker mit den Hacken.
Silberhelles Lachen erklang. Vogelstimmchen ließen Jauchzer hören.
Frische entstieg dieser Engelsrunde, die in einen Galopp kleiner
Teufelchen überging.
    »Ich liebe Sie! oh, ich liebe Sie!« wiederholte Henri.
    Sie bebte noch immer, wollte nichts mehr hören. Verwirrt
flüchtete sie ins Eßzimmer. Aber der Raum war leer; bloß Herr
Letellier schlummerte friedlich in einem Sessel. Henri war ihr
gefolgt und wagte auf die Gefahr eines öffentlichen Skandals hin
ihre Handgelenke zu fassen. Sein Gesicht war verzerrt und zuckte in
Leidenschaft.
    »Ich liebe Sie … ich liebe Sie … «
    »Lassen Sie mich gehen,« flüsterte sie schwach, »… lassen Sie
mich! Sie sind von Sinnen!«
    Man hörte nebenan die Schellen von Blanche
Berthier, die die gedämpften Töne des Klaviers begleiteten, und
Frau Deberle und Pauline klatschten mit den Händen den Takt dazu.
Es war eine Polka. Helene konnte sehen, wie Jeanne und Lucien sich
lustig lachend umschlungen hielten.
    Da machte sie sich mit einer heftigen Bewegung los und flüchtete
in die vom hellen Tageslicht erfüllte Küche. Die plötzliche Helle
blendete sie. Sie hatte Furcht, war außerstande, in den Saal
zurückzukehren. Sie fühlte, daß die Leidenschaft auf ihrem Gesichte
zu lesen war.
    Und quer durch den Garten laufend, verfolgt vom Lärm des Festes,
rannte sie die Treppen in ihre Wohnung hinauf.

Kapitel 9
     
    An einem Maimorgen war's, als Rosalie aus ihrer Küche gerannt
kam, ohne den Feuerspan, den sie in der Hand hielt, fortzulegen.
Mit der Vertraulichkeit des verwöhnten Dienstboten rief sie:
    »Oh! Madame! kommen Sie geschwind … Der Herr Abbé ist unten
im Garten des Doktors und gräbt Erde um … «
    Helene rührte sich nicht. Aber Jeanne war schon ans Fenster
gesprungen.
    »Ist die Rosalie dumm! Er gräbt gar nicht die Erde um. Er steht
beim Gärtner, der Pflanzen in einen kleinen Wagen hebt. Frau
Deberle pflückt alle ihre Rosen ab.«
    »Das mag für die Kirche sein,« sagte Helene ruhig, emsig mit
einer Stickerei beschäftigt.
    Ein paar Minuten später klingelte es plötzlich, und der Abbé
Jouve erschien. Er sagte an, daß man am kommenden Dienstag nicht
auf ihn rechnen dürfe. Seine Abende wären durch die Feierlichkeiten
des Marienmonats besetzt. Der Pfarrer hatte es übernommen, die
Kirche zu schmücken. Es würde prächtig werden. Alle Damen stifteten
Blumen. Er erwartete zwei Palmen von drei Meter Höhe, um sie

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