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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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ein. Sie hatte den Schleier niedergezogen und war
in einen Pelzmantel gehüllt. Während Malignon die Tür leise schloß,
blieb sie einen Augenblick unbeweglich stehen, und niemand hätte ihr die Erregung ansehen
können, die ihr das Wort vom Munde schnitt. Ehe noch der Galan ihre
Hand fassen konnte, schlug sie den Schleier hoch und zeigte ihr
lächelndes, ein wenig blasses Gesicht.
    »Was! Sie haben Licht gemacht!« rief sie spöttisch. »Ich
glaubte, Sie könnten Kerzen am hellichten Tage nicht leiden!«
    Malignon, der sie soeben mit theatralischer Geste in die Arme
schließen wollte, verlor die Fassung. Der Tag sei gar zu häßlich,
und seine Fenster hätten keinen schönen Ausblick. Im übrigen ginge
ihm die Nacht über alles …
    »Man weiß nie, wie man mit Ihnen dran ist,« neckte Juliette
weiter. »Auf meinem Kinderball damals haben Sie mir eine richtige
Szene gemacht: Man säße wie in einem Keller, man könne glauben, zu
einem Toten zu kommen … Geben Sie jetzt wenigstens zu, daß sie
Ihren Geschmack geändert haben?«
    Juliette schien unbedingt die harmlose Besucherin spielen zu
wollen und heuchelte eine Sicherheit, die doch nur ihre Verwirrung
bestätigte. Es zuckte nervös um ihren Mund, und sie schluckte, als
fühlte sie sich in der Kehle beengt. Ihre Augen blitzten
unternehmungslustig, und sie kostete vergnügt von der verbotenen
Frucht. Sie dachte an Frau von Chermette, die auch einen Liebhaber
hatte. Ach du lieber Gott, das war wirklich gar zu drollig.
    »Wollen wir nicht einmal Ihre schlichte Hütte näher besehen?«
scherzte sie wieder.
    Damit machte sie einen Rundgang durchs Zimmer. Malignon ärgerte
sich, daß er sie nicht sogleich in den Arm genommen hatte, und
folgte ihr voll Ungeduld. Juliette betrachtete die Möbel, musterte
die Wände, hob den Kopf, drehte sich
kokett in den Hüften und schwatzte in einem fort.
    »Ihrem Kattun kann ich wirklich nichts Schönes abgewinnen …
Diese ordinäre Farbe! … Wo haben Sie denn dieses gräßliche
Rosa aufgetrieben? … Nun, der Stuhl da wäre ja ganz nett, aber
das Holz ist vergoldet … Und kein Bild, keine einzige
Nippessache! Bloß diese stiellosen Leuchter … Freilich, mein
Wertester, ausgerechnet Sie haben's nötig, sich über meinen
japanischen Pavillon lustig zu machen!«
    Juliette lachte und rächte sich so für sein ewiges Kritisieren,
das sie ihm nicht vergessen konnte,
    »Nun ja doch, Ihr Geschmack ist ja soweit recht nett! …
Aber wissen Sie, meine Pagode ist mir mehr wert als Ihr ganzer
Möbelkram hier … Ein Ladenschwengel würde sich mit solchem
Rosa nicht sehen lassen … oder wollten Sie etwa Ihre Waschfrau
hier wohnen lassen?«
    Malignon schwieg verdrießlich und versuchte vergeblich, sie ins
Schlafzimmer zu dirigieren. Doch Juliette blieb auf der Schwelle
stehen und meinte, sie setze ihren Fuß nicht in Räume, wo es so
dunkel sei. Im übrigen hätte sie genug gesehen. All dieses Gerümpel
sei aus dem Faubourg Saint-Autrien zusammengeholt. Die Hängelampe
amüsierte sie köstlich. Unbarmherzig ging sie mit ihr ins Gericht
und kam unaufhörlich auf »diese Nachtlampe« zurück als auf den
Traum kleiner Nähmamsells, die sich nicht selbst möblieren könnten.
Solche Hängelampe könne man für sieben Franken fünfzig in allen
Basars kaufen.
    »Ich hab neunzig Franken dafür bezahlt,« knurrte Malignon
ungeduldig. Sie schien über seinen Ärger sehr vergnügt. Endlich
hatte er sein inneres Gleichgewicht wiedergefunden und fragte
betont höflich: »Wollen Sie nicht
ablegen?«
    »O ja, recht gern. Es ist gar so heiß bei Ihnen.«
    Juliette nahm sogar den Hut ab, und er legte ihn mit dem Mantel
zusammen aufs Bett. Als er wieder ins Zimmer trat, fand er sie vor
dem Kamin, wie sie noch immer die Einrichtung musterte. Sie hatte
wieder zu ihrem früheren Ernste zurückgefunden und wollte
Entgegenkommen zeigen.
    »Es ist zwar sehr häßlich bei Ihnen, aber immerhin, Sie wohnen
nicht schlecht. Die beiden Zimmer hätten sich sehr hübsch
einrichten lassen.«
    »Oh, für den Zweck, den ich mit ihnen im Auge habe –« entfuhr es
ihm leichtsinnig.
    Er bedauerte sogleich die dumme vorschnelle Bemerkung. Noch
plumper und ungeschickter konnte man es nicht anfangen. Sie hatte
in schmerzvoller Beklemmung den Kopf gesenkt und schien für einen
Augenblick den Zweck ihres Hierseins vergessen zu haben.
    »Juliette,« flüsterte Malignon an ihrem Ohr.
    Sie winkte ihm, sich niederzusetzen.
    »Juliette. Juliette,« wiederholte er, und seine

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