Ein Blatt Liebe
Stimme wurde
zärtlicher.
»Ach, so gehen Sie doch! Seien Sie doch vernünftig,« sagte sie
und griff nach einem chinesischen Fächer, der auf dem Kaminsims
lag.
Malignon legte werbend den Arm um ihre Hüfte.
»Nicht doch,« rief sie ärgerlich, »lassen Sie mich sofort los,
Sie tun mir ja weh!«
Und als Malignon sie schweigend wieder der Schlafzimmertür
zudrängte, machte sie sich mit Gewalt los. Sie gehorchte einem
gewissen Etwas, das außerhalb ihrer Wünsche lag. Sie war ärgerlich
auf sich selbst und auf ihn. Verwirrt
stammelte sie abgerissene Worte. Ach wirklich, er lohnte ihr das
Vertrauen schlecht! Was glaubte er denn zu erreichen, daß er sich
so brutal zeigte. Sie behandelte ihn als Feigling. Nie in ihrem
Leben wollte sie mit diesem Menschen wieder zu tun haben. Er aber
ließ sie reden, um sie zu betäuben, und verfolgte sie mit seinem
bösen blöden Lachen. Sie nahm hinter einem Sessel Zuflucht und
wußte plötzlich, daß sie sein Opfer war, ohne daß er noch die Hände
nach ihr ausgestreckt hatte. Es war für Juliette eine der
peinlichsten Situationen, die sie je durchlebt hatte.
So standen sie sich nun mit verzerrten Gesichtern beschämt und
erregt, Auge in Auge, gegenüber, als plötzlich ein heftiger Lärm
losbrach. Zuerst verstanden sie nicht. Eine Tür war aufgerissen
worden, Schritte kamen näher, und eine Stimme rief:
»Retten Sie sich, schnell fort … Man wird Sie gleich
überraschen!« Es war Helene. Alle sahen einander verblüfft an. Das
Erstaunen der beiden Überraschten war so groß, daß sie die
Peinlichkeit der Situation vergaßen. Juliette zeigte keine Spur von
Verlegenheit.
»Retten Sie sich,« wiederholte Helene hastig. »Ihr Gatte wird
binnen zwei Minuten hier sein!«
»Mein Mann!« stammelte die junge Frau. »Mein Mann? Warum denn?
Wozu denn?«
Juliettes Gedanken hatten sich gänzlich verwirrt. Helene wurde
ungeduldig:
»Glauben Sie etwa, ich hätte Zeit und Lust, Ihnen das alles
auseinanderzusetzen? Er wird kommen! Sie sind gewarnt. Gehen Sie
rasch, gehen Sie alle beide!«
Jetzt wurde Juliette vollends kopflos und rannte ziellos im
Zimmer umher. »Ach Gott, ach Gott! …
Haben Sie vielen Dank, wo ist mein Mantel? Und ausgerechnet in
einem pechfinsteren Zimmer! Reichen Sie mir doch endlich meinen
Mantel … Bringen Sie eine Kerze her, damit ich meinen Mantel
finden kann .. Entschuldigen Sie tausendmal, meine Teure, daß ich
Ihnen jetzt nicht danken kann. Ich weiß nicht mehr, wie ich in den
Ärmel schlüpfen soll … Nein, ich weiß nicht mehr, ich kann
nicht mehr… «
Helene mußte ihr in den Mantel helfen. In der Eile setzte sie
den Hut verkehrt auf und knüpfte noch einmal die Bänder. Das
Schlimmste war, daß sie eine ganze Minute damit verlor, ihren
Schleier zu suchen, der unters Bett geraten war.
»Das soll mir eine Lehre sein! Das soll mir eine Lehre
sein … Ha! Jetzt wird hier endgültig Schluß gemacht, bei Gott
und allen Heiligen!«
Malignon war sehr blaß, und sein Gesicht nicht gerade
geistreich. Er trat von einem Fuß auf den andern und fühlte sich
lächerlich gemacht. Sein einzig klarer Gedanke war, daß er offenbar
wieder einmal Pech hatte. So stellte er bloß die komische
Frage:
»Also Sie meinen, daß ich hier auch verschwinden sollte?«
Da niemand von ihm Notiz nahm, griff er nach seinem Spazierstock
und mimte Kaltblütigkeit. Es war die höchste Zeit. Zum Glück gab es
noch einen zweiten Ausgang, eine kleine kaum benutzte
Dienstbotentreppe. Frau Deberles Wagen hielt noch vor dem Portal,
und Malignon rief in einem fort:
»Beruhigen Sie sich, meine Damen, so beruhigen Sie sich doch! Es
wird schon noch einmal gutgehen… Da, hier ist's … hier
ist's … «
Er hatte die Tür geöffnet, und man sah eine Reihe von drei
kleinen Zimmern, die leer und unsäglich schmutzig waren.
Erstickende Feuchtigkeit schlug ihnen entgegen. Juliette mußte sich
Zwang antun, den Fuß in diese jämmerlichen Räume zu setzen.
»Wie konnte ich bloß hierherkommen … Wie
abscheulich! … Das werde ich mir nie verzeihen.«
»So beeilen Sie sich doch,« rief Helene, von der allgemeinen
Verwirrung angesteckt, und schob Frau Deberle vor sich her.
Da warf sich die junge Frau der Freundin nervös weinend an den
Hals. Sie hätte sich verteidigen, hätte erklären mögen, warum man
sie bei diesem Herrn gefunden hatte. Dann hob sie in rascher
Bewegung den Rocksaum, als müßte sie einen schmutzigen Bach
durchwaten. Der vorangehende Malignon stieß mit der
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