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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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ging. Als Frau de Chermette und Frau
Tissot sich gemeinsam empfahlen, geleitete sie Juliette verbindlich
lächelnd ins Vorzimmer: »Ich werde Sie am Nachmittag
besuchen … Ich habe morgen eine Unmenge Besuche zu
machen … «
    Helene stand noch immer bleich und reglos hinter dem Vorhang.
Sie taumelte und ging nach einer Weile in den Salon zurück. Hier
ließ sie sich in einen Armsessel sinken, die Lampe gab einen
rötlichen Schein, und die niedergebrannten Kerzen des Kronleuchters
drohten die Seidenmanschetten in Brand zu setzen. Vom Speisezimmer
her hörte man den Aufbruch der letzten Gäste. So war es also doch
kein Traum. Juliette wollte zu diesem Manne gehen! Morgen, sie
hatte sich den Tag gemerkt… Oh, sie würde jetzt keine Rücksicht
mehr kennen! Es war ein Aufschrei ihrer Seele. Dann wieder meinte
Helene, sie müsse zuerst mit Juliette reden und sie vor ihrem
Fehltritt bewahren. Diesen einzig richtigen Gedanken aber schob sie
als unpassend beiseite. Sie starrte in den Kamin, wo ein
verlöschender Brand knisterte.
    »Ei! Da sind Sie ja, meine Liebe,« rief Juliette näher tretend.
»Reizend, daß Sie nicht auch schon gegangen sind. Endlich kann man
aufatmen!«
    Und als Helene aus ihren Gedanken gerissen sich erheben wollte,
rief sie lebhaft:
    »Warten Sie doch, wir haben es ja nicht eilig. Henri, gib mir
mein Riechfläschchen.«
    Einige wenige Vertraute hatten sich
verspätet. So setzte man sich vor den Kamin und machte noch ein
wenig Konversation. Henri war gegen seine Frau von besonderer
Aufmerksamkeit, Er hatte ihr das Riechfläschchen gebracht und
fragte nun, ob sie nicht recht müde sei und sich nicht gar zu sehr
angestrengt habe. Freilich, sie fühlte sich ein wenig abgespannt,
war aber recht zufrieden, daß der Abend so geglückt war. Sie
erzählte, daß sie nach solchen geselligen Empfängen nicht recht
einschlafen könne und sich bis in den frühen Morgen im Bett
herumwerfe. Henri neckte sie lächelnd. Helene beobachtete Juliette
in einem Zustand des Dahindämmerns, der jetzt das ganze Haus
einzulullen schien.
    Bis auf zwei Personen waren inzwischen alle Gäste gegangen.
Pierre hatte eine Droschke geholt. Es schlug ein; Uhr, Helene blieb
bis zuletzt. Henri tat sich als Hausherr keinen Zwang mehr an,
stand auf und löschte zwei Kerzen des Kronleuchters.
    »Oh, ich bringe Sie ja um Ihren Schlaf,« stotterte Helene und
erhob sich plötzlich. »Werfen Sie mich doch hinaus!«
    Sie war rot geworden, und das Blut drängte ihr zum Herzen. Das
Ehepaar geleitete sie ins Vorzimmer. Da es hier fühlbar kalt war,
sorgte sich der Doktor um seine Frau.
    »Geh hinein! Du bist erhitzt, du wirst dich erkälten.«
    »Nun denn, so leben Sie wohl,« rief Juliette und gab Helene
spontan einen Kuß. »Besuchen Sie mich doch öfter.«
    Henri hatte den Pelzmantel von der Garderobe genommen, um Helene
hineinzuhelfen. Er schlug ihr den Kragen in die Höhe, und beide
schauten lächelnd in den Spiegel, der eine
Wand des Vorzimmers einnahm. Da warf sich Helene plötzlich ihrem
Liebhaber nach rückwärts in die Arme. Seit Monaten hatten beide nur
einen freundschaftlichen Händedruck gewechselt – sie wollten
einander nicht mehr lieben. Sein Lächeln verschwand, und er warf
die Maske ab. Henri preßte sie, gänzlich von Sinnen, an sich und
küßte sie auf den Hals, indes sie den Kopf zurückbeugte, ihm den
Kuß zurückzugeben.
    Helene verbrachte eine schreckliche Nacht. Sie war mit ihrer
Willenskraft am Ende, und unaussprechliche Gedanken marterten ihren
Geist. Sie versuchte einzuschlafen, aber im Bett wurden die Qualen
unerträglich. Sie wälzte sich im Halbschlummer wie auf einem
glühenden Roste. Hirngespinste wuchsen vor ihr auf ins Unendliche
und verfolgten sie. Nur einen Gedanken faßte jetzt ihr Hirn. Sie
mochte sich wehren, wie sie wollte, dieser Gedanke blieb und
schnürte ihr den Hals zu. Die Dämmerung graute. Da erhob sie sich
mit dem unerschütterlichen Entschluß einer Nachtwandlerin,
entzündete die Lampe und schrieb mit verstellten Schriftzügen ein
Billett. Es war eine unbestimmte Denunziation von drei Zeilen. Der
Doktor Deberle wurde gebeten, sich noch am gleichen Tage an dem und
dem Orte zu der und der Stunde einzufinden. Der Zettel enthielt
keine Unterschrift. Helene siegelte den Umschlag und schob den
Brief in die Tasche. Dann legte sie sich nieder und fiel sogleich
in einen bleischweren Schlaf, der ihr keine Erquickung brachte.
    Rosalie konnte den Kaffee erst nach neun Uhr auftragen.
Zerschlagen,

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