Ein Braeutigam und zwei Braeute
gestreifte Krawatte und hielt in einer Hand einen Spazierstock. Über den niedrigen Schnür stiefeln trug er Gamaschen. Auf der Oberlippe sproß ihm ein kleiner Schnurrbart. Sein Jackett war nicht zugeknöpft, und aus seiner Weste baumelte eine Uhrkette. Er brachte einen Duft nach Schokolade und parfümierter Seife mit. Er trat lächelnd ein und machte eine leichte Verbeugung.
»Ist der Rabbi zu Hause?«
»Ja, gehen Sie bitte ins nächste Zimmer.«
Vater stand, über einen heiligen Text gebeugt, am Lesepult und schrieb einen Kommentar auf ein Blatt Papier. Er arbeitete gerade an einer den gesamten Talmud umfassenden Abhandlung zur Verteidigung Raschis, in der er Rabbenu Tams Behauptung widerlegte, Raschis Kommentar enthalte Widersprüche.
»Guten Morgen.«
»Guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?«
»Können wir hier eine Trauung abhalten?«
»Selbstverständlich.«
Vater bat den jungen Mann, Platz zu nehmen. In solchen Fällen war Vaters erste Frage, ob Braut und Bräutigam Eltern hatten. Es stellte sich heraus, daß beide Vollwaisen waren.
Vater seufzte. »Nun, alles ist vorherbestimmt.«
Von Armen verlangte Vater drei Rubel für eine Trauung, aber in diesem Fall forderte er fünf. Der junge Mann zog sofort einen knisternden Fünfrubelschein heraus und bezahlte im voraus. Dann holte er ein silbernes Etui aus der Tasche und bot Vater eine wohlriechende Zigarre an. Seine Gesten waren rasch und leicht.
Vater hatte etwas gegen die modernen weltlichen Typen, die Stutzer und Ketzer, aber ich sah, daß dieser junge Mann ihn für sich einnahm, weil er nicht viele Worte machte und ihm nicht lästig fiel. Nachdem er gesagt hatte, was zu sagen war, erhob er sich und streckte die Hand aus, um die meines Vaters zu schütteln. Unter frommen Juden war es nicht üblich, sich zum Abschied die Hand zu geben, aber meinem Vater waren weltliche Sitten geläufig. An der Wohnungstür machte der junge Mann vor meiner Mutter wieder eine Verbeugung. Dann tat er etwas völlig Unerwartetes: Er gab mir ein kupfernes Sechskopekenstück. Ich wurde rot und wußte nicht, ob ich es annehmen sollte oder nicht. Er klopfte mir auf die Schulter und flüsterte: »Kauf dir ein paar Bonbons.«
Der junge Mann hinterließ ein Gefühl von Wärme und Zuneigung. Die Hochzeit sollte in wenigen Tagen stattfinden, und Mutter war schon neugierig, wie die Braut eines so netten jungen Mannes wohl aussehen mochte. Meine Eltern sprachen zu Hause darüber.
Stellen Sie sich also unsere Verwunderung vor, als der junge Mann mit seiner Braut und einigen anderen jungen Leuten, seinen guten Freunden, ankam und wir sahen, daß sie nur ein Bein hatte. Alle waren äußerst überrascht, mit Ausnahme meines Vaters natürlich, der Frauen nie ansah.
Die Braut war nicht nur lahm, sie war auch sonst nicht sehr ansehnlich. Sie war breit gebaut, nicht mehr jung, hatte einen krummen Rücken und stand, auf eine Krücke gestützt, auf ihrem einen Fuß. Der junge Mann stellte seine Braut meiner Mutter vor, die ihr verwirrt und verlegen Masel tow wünschte. Dann ging alles ins andere Zimmer. Einer der jungen Männer hatte eine Papiertüte mit einer Flasche Branntwein und Honigkuchen mitgebracht. Hochzeiten dieser Art waren schnell vorbei. Vater hatte schon einen gedruckten Ehevertrag vorbereitet und mußte nur noch die Namen der Brautleute einsetzen. Ich lief ins Bethaus hinunter und holte ein paar Männer, um den Minjan zu vervollständigen.
Der Trauhimmel mit den vier Holzpfosten wurde immer neben unserem Ofen aufgestellt. Der Kittel – das weiße Gewand, das der Bräutigam trug – lag in einer Schublade. Vater tat alles, was jüdisches Gesetz und jüdische Tradition verlangten. Nach alter Sitte muß die Braut den Bräutigam siebenmal umkreisen in Befolgung des Bibelverses bei Jeremia: »Eine Frau soll um einen Mann herumgehen.« Für die hinkende Braut war das keine leichte Aufgabe. Die dumpfen Stöße ihrer Krücke hallten durch die ganze Wohnung. Selbst ein Blinder hätte gesehen, daß die Braut lahm war, doch mein frommer Vater sah nicht und hörte nicht. Er rezitierte die Segenssprüche, der Bräutigam erklärte die Braut zu seiner Frau; dann rezitierte Vater die abschließenden Segenssprüche und gratulierte dem Paar.
Nach der Zeremonie feierten die versammelten Gäste am Tisch mit Kuchen und Branntwein.
Nachdem alles gegangen war, ging Mutter zu Vater hinein. »Na, was sagst du?«
»Was
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