Ein Braeutigam und zwei Braeute
soll ich sagen?«
»Warum heiratet ein solcher junger Mann ein armes verkrüppeltes Wesen?«
Vater zuckte die Achseln. »Verkrüppelt?«
Worauf Mutter zu Vater sagte, was sie in solchen Fällen immer zu ihm sagte: »Oh, du bist so naiv!«
Dann beschrieb sie die Braut. Vater fand es gar nicht so seltsam. »Was ist denn so abwegig daran, einen Krüppel zu heiraten? Sagt die Hymne ›Eine Frau von Wert‹ nicht: ›Falsch ist Liebreiz und Schönheit Eitelkeit‹? Was für einen Unterschied macht es, ob die Braut einen oder zwei Füße hat? Der Körper ist nur ein Körper.«
Doch Mutter wies ihn zurecht: »Wenn du sie schon nicht gesehen hast, hättest du sie zumindest mit ihrer Krücke herumpoltern hören können.«
Aber mit einer Handbewegung wischte Vater das Ganze beiseite. Erstens hatte er keinerlei Gepolter gehört. Zweitens – wie hätte er wissen sollen, woher das Gepolter kam? »Was für ein Unsinn!« sagte Vater und kehrte zum Studium des Talmud und der anderen heiligen Texte zurück. Rabbenu Tam, der große Gelehrte und Enkel von Raschi, hatte eine sehr schwierige Frage – eine Frage, so stark wie eine Steinmauer – zu einem Kommentar Raschis aufgeworfen, und Vater mußte nachweisen, daß der heilige Raschi recht hatte.
Mutter zog sich in die Küche zurück. Erregt ging sie auf und ab. Mutter erfaßte Dinge gern logisch. Rätsel störten sie. Was fand ein so gutaussehender junger Mann an einer so häßlichen Frau? Wie hatte es zu einer solchen Verbindung kommen können? Eine Nachbarin kam und behauptete, das geschehe alles aus Liebe. Menschen, die sich verliebten, seien blind und taub; sie verlören den Kopf. Dann fing sie an, alle möglichen Liebesgeschichten zu erzählen – wie Mädchen leidenschaftlich Männer liebten, die blind, stumm, bucklig und was sonst noch waren. In Wirklichkeit kannte meine Mutter weit mehr Beispiele als diese Nachbarin, aber all das beantwortete ihre Frage nicht.
»Vielleicht hat sie viel Geld«, meinte die Nachbarin.
»Wieviel könnte sie denn haben? Das ganze Leben mit so einem Krüppel zu verbringen …! Irgend etwas stimmt da nicht.«
Auch ich war befremdet. Ich hörte die gescheiten Erklärungen der Nachbarin, zollte ihnen aber nur geringe Aufmerksamkeit. Nach einer Weile ging sie wieder, und Mutter sagte zu mir: »Wieso bist du die ganze Zeit in der Küche? Hol dir lieber ein heiliges Buch und studiere.«
Und sie scheuchte mich in Vaters Arbeitszimmer. Ich öffnete den Bücherschrank und kramte erst einmal in den Büchern herum. Ich suchte mir ein Buch mit leeren Einbandseiten heraus und begann, mit dem Bleistift alle möglichen kleinen Menschen, Tiere, Blumen und Phantasiegestalten hineinzuzeichnen. Ich war damals noch ein kleiner Junge und durfte darum Frauen noch ansehen. Rätselhaftes hatte ich in diesem Raum schon zur Genüge erlebt, und mein Kopf steckte voller Einfälle und Phantasien. Mir kam der Gedanke, daß Braut und Bräutigam vielleicht keine Menschen, sondern Dämonen waren. Vielleicht war die Braut eine einstige Prinzessin, die jetzt als lahme Frau verkleidet war. Vielleicht war der junge Mann ein Hexenmeister aus Madagaskar, der sie verzaubert hatte. In den Büchern, die ich gelesen hatte, waren mir derartige Geschichten oft begegnet. Schon damals empfand ich die Welt als erfüllt von großen Geheimnissen.
Ich weiß nicht, wieviel Zeit vergangen war, vier, fünf Tage vielleicht, vielleicht auch eine Woche, als ich plötzlich ein schwerfälliges Gepolter im Treppenhaus vernahm. Ich spitzte die Ohren. Auch Mutter lauschte aufmerksam. Es klopfte an der Tür. Ich machte auf und erblickte die lahme Braut. Allmächtiger! Sie war um Jahre gealtert. Ihr Körper war verkrümmt, wie entzwei gebrochen, und ihr Gesicht war rot und verschwollen. Ich trat zurück. Sie hinkte herein, ihre Krücke pochte dumpf gegen den Boden.
»Was ist passiert?« fragte Mutter.
»Rebbezin, er hat mich umgebracht! Mich ohne Messer abgeschlachtet …! Weh mir und meinem Leben! Dieser Dieb, dieser Verbrecher, dieser Mörder, dieser Schuft!«
»Setzen Sie sich. Was ist passiert?«
»Er hat mich um alles betrogen, dieser Ganove, dieser Hochstapler, dieser gemeine Kerl …! Rebbezin, es wäre besser, er hätte mich getötet. Was soll ich jetzt tun? Wohin kann ich gehen, an wen mich wenden? Liebe Rebbezin, das war kein Mensch, das war ein Todesengel!«
Die Tür stand offen, und Nachbarn strömten herbei. Die
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