Ein Braeutigam und zwei Braeute
tiefgründig waren, so tiefgründig wie der Ozean.«
*
Tumtum: ein talmudisches Wort, das einen Mann zweifelhaften Geschlechts bezeichnet (Anm. d. Übers.).
Der chassidische Rebbe, den Reb Sainwele rühmte, war ihm in gewisser Hinsicht ähnlich. Jener Rebbe war ein Eunuch, was ja auch eine Art Tumtum ist. Indem Reb Sainwele den Rebbe pries, lobte er auf diskrete Art auch sich selbst. Die Chassidim begriffen das und wechselten beim Zuhören entsprechende Blicke. Ja, man konnte Eunuch oder Tumtum sein und gleichzeitig eine große Seele haben. Das eine hatte mit dem anderen nichts zu tun. Selbst der Prophet Jesaja tröstete die Eunuchen, die den Sabbat einhielten und gute Werke taten. Dennoch war es eben eine Demütigung, mit nacktem Gesicht in einer ganzen Gemeinde bärtiger Juden herumlaufen zu müssen. Tatsächlich trug Reb Sainwele, obwohl er nicht verheiratet war, beim Beten einen Tallit. Er hatte keine Einkünfte; die Chassidim unterhielten ihn. Reb Sainwele studierte oder betete oder schritt gedankenversunken im Bethaus auf und ab. Er rauchte eine lange Pfeife und schnupfte aus einer kleinen Elfenbeindose Tabak, den er mit ein paar Tropfen Branntwein vermengt hatte, damit er stärker war. Gelegentlich ging er auf einen Jungen zu, kniff ihn in die Wange und sagte: »He, was gibt's?«
Er hauste irgendwo in einem kleinen Zimmer zur Miete. Am Sabbat lud man ihn zu den Mahlzeiten ein, aber in fremde Häuser zu gehen war für ihn eine Qual. Die Frauen und Mädchen fürchteten sich irgendwie vor ihm und waren auch schrecklich verlegen. Da er kein Mann war, gehörte er in gewisser Weise ihrem Geschlecht an.
Einmal fing ein Mädchen an der Sabbattafel zu lachen an und konnte nicht aufhören. Reb Sainwele wußte recht gut, daß sie über ihn lachte. Aber was sollte er machen? Wenn es im Himmel so bestimmt war, daß man Tumtum und obendrein noch arm sein sollte, mußte man das Joch tragen. Während das Mädchen lachte, vertiefte Reb Sainwele sich in einen Pentateuch, der zufällig auf dem Tisch lag. Beim Lesen der Kommentare faßte er sich an das bartlose Kinn und begann daran zu ziehen, als wüchse ihm dort ein Bart.
»Wie entzückend! Hinreißend!« sagte er.
Eines Sommernachmittags, als Vater in seinem Gerichtszimmer an seinem Kommentar schrieb und Mutter in der Küche ein Buch las, ging die Tür auf, und herein kam Reb Sainwele der Tumtum. Ihm folgte eine Frau. Sie trug eine breitrandige, mit Seidenfransen besetzte Haube mit kleinen Glasperlen, einen Satinmantel, ein perlenbesticktes Kleid und spitze Schuhe, die aussahen, als stammten sie aus dem Mittelalter. Auf ihrer Hakennase saß eine messinggeränderte Brille. Man sah auf den ersten Blick, daß sie eine Rebbezin war.
Reb Sainwele ging eilig zu Vater hinein, denn es war nicht seine Gewohnheit, mit Frauen zu sprechen. Nachdem Mutter die Frau begrüßt hatte, blieb diese eine Weile in der Küche.
»Rebbezin, ich bin die Tschentschiner Rebbezin. Mein verstorbener Mann war der Tschentschiner Rebbe.«
»Oh, bitte, setzen Sie sich doch.«
»Ich kann stehen. Rebbezin, nehmen Sie hier Trauungen vor?«
»Ja, warum nicht? Schlichte kleine Feiern unter dem Trauhimmel.«
»Was brauche ich mehr? Eine turbulente Hochzeit? Ich möchte mit Reb Sainwele getraut werden.«
Mutter verschlug es die Sprache. Sie wirkte verlegen. Ihr Blick fiel auf mich, und sie rief: »Warum hängst du in der Küche herum? Geh ins andere Zimmer!«
Ich starb vor Neugier, aus dem Mund der Rebbezin zu hören, warum sie den Tumtum heiraten wollte. Aber ich wollte auch hören, was der Tumtum selber dazu sagte. Ich ging ins größere Zimmer hinüber, wo gerade Reb Sainwele sprach.
»Ihr Mann war ein großer Gelehrter. Einer der ganz großen. Er hat sechzig Bücher hinterlassen.«
»Sechzig? Gedruckt?«
»Genau das ist der Haken: Sie sind alle handschriftlich. Seine Schrift war sehr schwer zu entziffern. Sie möchte, daß seine Bücher gedruckt werden, und ich soll mich darum kümmern.«
»Wo wollen Sie das Geld auftreiben?«
»Sie will, daß ich Subskriptionen verkaufe.«
»Das ist ein mühsames Geschäft.«
»Juden sind großzügig. Ich habe so etwas noch nie gemacht, aber ich werde älter und brauche eine feste Bleibe. An fremden Tischen zu essen ist mir eine Qual. Auf diese Weise habe ich noch einen Menschen im Haus.«
»Das ist nicht unvernünftig.«
»Da sie es will – was kann ich verlieren?«
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