Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Bashevis Singer
Vom Netzwerk:
fragte Reb Sainwele.
      »Sie haben völlig recht.«
      »Es wäre mir lieb, wenn Sie die Trauung vornehmen könnten«, sagte Reb Sainwele.
      Ich schaute Vater an. Ich hätte gern in seinen Augen eine Spur Verblüffung, ein wenig von der Bestürzung gesehen, die ich in Mutters Gesicht entdeckt hatte. Doch Vater war nicht im geringsten überrascht.
      »Ja, gut …«
      »Äh – benötigen wir irgendwelche Erfrischungen?« fragte Reb Sainwele.
      »Nun, wir brauchen Wein für die Segenssprüche. Aber es ist Sitte, dem Minjan Kuchen und Branntwein anzubieten.«
      »Gut, das machen wir. Wie ich sehe, studieren Sie gerade den Traktat Bechorot «, sagte Reb Sainwele in verändertem Ton.
      »Ich schreibe einen Kommentar zu Rabbi Jomtob Algasis Werk Die Gesetze des Jom-tob «, erläuterte Vater.

    Jomtob Algasi (1727–1802), ein berühmter Rabbi, war der Verfasser der  Gesetze des Jom-tob,  einem Kommentar zu Bechorot  (Anm. d. Verf.).

    »Tatsächlich? Nun, alles hat seinen Nutzen. In ein paar hundert Jahren wird jemand einen Kommentar zu Ihrem Kommentar schreiben.«
      Ich sah sofort, daß die Unterhaltung nicht die von mir gewünschte Richtung nahm, und kehrte still in die Küche zurück, wo ich die Frau reden hörte.
      »Ja, wir waren fünfzig Jahre verheiratet, aber man kann nicht allein bleiben. Am Sabbat komme ich von der Synagoge nach Hause und muß zu einem Nachbarn gehen, um den Kiddusch zu hören. Mein Nachbar ist Schneider, aber er spricht das Hebräische aus wie ein Ungebildeter. Reb Sainwele ist zwar leider nicht ganz gesund, aber er ist ein Gelehrter. Was brauche ich in meinem Alter mehr? Ich bin nicht die Urmutter Sara, die mit Neunzig einen Sohn geboren hat.«
      »Ja, ich verstehe.«
      »Er verspricht mir, dafür zu sorgen, daß die Manuskripte meines Mannes gedruckt werden.«
      »Nun, vielleicht …«
      »Mein verstorbener Gatte – möge er ein strahlendes Paradies haben – war auch nicht gut beieinander. Sein Leben lang hat er gekränkelt, leider. Ich war so kerngesund wie ein Riese und bin so geblieben. Möge kein böser Blick mir schaden – ich bin schon achtundsechzig und habe noch immer alle meine Zähne. Aber urteilen Sie nicht danach, wie ich heute aussehe. Ich war einmal eine Schönheit …«
      »Man sieht es Ihnen an.«
      »Ich habe früher immer die Bewunderung der ganzen Straße erregt. Man wollte mich mit einem Kaufmannssohn verheiraten, einem strammen jungen Burschen, aber meine gute Mama – möge sie Fürbitte für mich tun – wollte einen Schwiegersohn mit Autorisierung zum Rabbinat. Heutzutage wird das Mädchen gefragt, was es will. Zu meiner Zeit fragte man die Kinder nicht nach ihrer Meinung. Gleich nach der Hochzeit wurde er leidend und ist es für den Rest seines Lebens geblieben. Er hat im Bett gelegen und studiert. Tagelang. Und die ganze Nacht. Da ich also in all meinen jungen Jahren Entbehrung erfahren habe, was sollte ich jetzt brauchen? Nur eines macht mir angst: Ich hoffe, er wird es mir nicht vorhalten.«
      »Sie meinen, Ihr Mann?«
      »Ja. Schließlich werde ich doch in hundert Jahren mit ihm im Paradies sein.«
      »Alles wird sein, wie es bestimmt ist«, erwiderte Mutter.
      Obwohl wir uns alle Mühe gaben, die Hochzeit geheimzuhalten, erfuhren die Leute auf der Straße und im Hof davon. Am Abend der Hochzeit versuchten Jugendliche, in unsere Wohnung einzudringen. Vater stellte sich ihnen entgegen.
      »Ihr seid also gekommen, um euch lustig zu machen, he? Was gibt's hier so Komisches? Reb Sainwele ist ein Gelehrter.«
      »Aber ihm fehlt was!« schrie einer der Jugendlichen.
      »Alles, was er hat, ist ein Geschenk Gottes«, entgegnete Vater. »Geht nach Hause. Nicht das Chaos regiert die Welt!«
      Doch die Straßenjugend, die sich am Hauseingang zusammengerottet hatte, war offenbar der Meinung, das Chaos regiere tatsächlich die Welt. Als der Bräutigam den Eingang passierte, begrüßten sie ihn mit Pfiffen und Gejohle. Einer der Jugendlichen rief ihm nach: »Tum…«, und ein anderer fuhr fort: »tum!« Mädchen lachten anzüglich.
      Ein Schuster kam gelaufen und schrie die Jugendlichen an: »Ein Messerschnitt, und ihr seid genau wie er … Ihr solltet euch schämen!«
      Seit frühster Kindheit hat es mich schrecklich verdrossen, wenn ein Mensch mit einem Gebrechen verspottet wurde. Ich fand es ungeheuer gefühllos und unbeschreiblich grausam. Aber die meisten Jungen meines Alters konnten das nicht

Weitere Kostenlose Bücher