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Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Bashevis Singer
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einsehen. Sie rannten hinter einem Buckligen her. Sie riefen jedem Krüppel gehässige Spitznamen nach. Sie jagten einen Irren und spielten ihm gräßliche Streiche aller Art. Wehe, ich selbst war auch nicht völlig frei von dieser Sünde. Ich machte mich über Narren lustig. Aber war ein Narr nicht auch ein Mensch mit einem Gebrechen? Konnte ein Narr sich zu einem Weisen machen? Und warum hatte ein Ochse verdient, geschlachtet zu werden? Kann ein Ochse sich in einen Menschen verwandeln?
      Das Geschrei und Gepfeife, das Sainwele dem Tumtum galt, dauerte an, während Vater den Ehekontrakt verlas und die Trauung vornahm. Selbst die Männer, die man geholt hatte, um den Minjan zu vervollständigen, machten Witze und zwinkerten einander zu. Die Frau, die Rebbezin, nickte mit dem haubenbedeckten Kopf. Reb Sainwele trug den weißen Kittel, der den Bräutigam an seinen Todestag gemahnen soll. Im Schein der Petroleumlampe war sein bartloses Gesicht kreideweiß. Eigentlich sah er sehr wie ein Geistlicher aus. In seinen Augen leuchteten Kummer und Lachen zugleich. Es war, als fragten seine Augen: Sind so die Menschen?
      Der Minjan verzog sich nach der Zeremonie, doch Reb Sainwele und seine frisch angetraute Ehefrau blieben noch eine ganze Weile in Vaters Amtszimmer sitzen, weil sie nicht durch die war tende Meute gehen wollten. Reb Sainwele erzählte unterdessen Geschichten von chassidischen Rebbes. Ich weiß nicht mehr, von welchem Rebbe die Rede war; jedenfalls sagte er: »Während er bei der Mesuse stand, betete er, daß die Menschen nicht in großer Zahl zu ihm kämen.«
      »Tatsächlich?«
      »Es kamen verhältnismäßig wenige Leute. Selbst zu Rosch Haschana war das Lehrhaus halb leer.«
      »Er nahm auch kein Geld, oder?«
      »Gott bewahre!«
      »Jeder Rebbe hat seine eigene Art«, stellte Vater fest. »Der Rizhiner Rebbe fuhr stets in einer Kutsche mit silbernen Rädern … Der Rimanower Rebbe schnupfte den Schnupftabak aus einer goldenen Tabaksdose.«
      »Meinen Sie, ich wüßte das nicht? Aber wozu braucht ein Rebbe eine goldene Tabaksdose?«
      »Auch der Heilige Tempel war aus Gold.«
      »Und ebenso das Goldene Kalb, verzeihen Sie den Vergleich.«
      Bald hatte die Straßenjugend die Warterei satt. Sie zerstreute sich, und es herrschte Ruhe. Reb Sainwele und die ehemalige Rebbezin wünschten uns gute Nacht. Die Rebbezin hatte eine eigene Wohnung, und Reb Sainwele ging dorthin zum Schlafen.
      Ich lag im Bett und konnte bis spätnachts nicht einschlafen. Ein bißchen wußte ich damals schon von den Geheimnissen von Mann und Frau. Ich rief mir die Worte des Schusters ins Gedächtnis: »Ein Messerschnitt, und ihr seid genau wie er.«
      Was für eine Kraft war es, die mit einem Messer weggeschnitten werden konnte? Ein Messer konnte tausend Männer zu Tumtums und Eunuchen machen. Eine Nadel konnte tausend sehende Augen blind machen. Ein Stein konnte einer Million Menschen den Schädel einschlagen. Wie also kann ein Mensch sich für so hoch und mächtig halten? Ich mochte den Rebbe, der kein Geld nahm, lieber als den, der in einer Kutsche mit silbernen Rädern fuhr.
      In jener Nacht wollte ich ein Rebbe werden, zu dem nur eine kleine Schar von Auserwählten kam. Und ich würde kein Geld von ihnen nehmen. Gott bewahre! Und ich würde den Schnupftabak aus einem alten Holzdöschen schnupfen, genauso einem, wie mein Vater es hatte.

Die lahme Braut

    Wenn unsere Küchentür aufging und ein Mann in langem Kaftan eintrat, hieß das keineswegs, daß sich aus diesem Besuch irgendwelche Einnahmen ergaben. Ein solcher Besucher konnte gekommen sein, um eine Frage zu den Speisegesetzen zu stellen, Rat zu erbitten oder sich bloß mit Vater zu unterhalten. Ziemlich häufig kamen achtbare Männer, die um eine Spende für die Mitgift einer Braut oder die Krankenfürsorgekasse baten oder die Vater die Subskription auf den religiösen Kommentar eines Gelehrten verkaufen wollten. Es gab viele Gründe, weshalb ein Jude den Rabbi sprechen wollte.
      Kam aber ein modern gekleideter junger Mann, war es etwas ganz anderes. Einer, der westlich gekleidet war, kam nicht, um eine Gefälligkeit oder Spende zu erbitten. Ein derartiger junger Mann wollte entweder eine Verlobung auflösen, sich scheiden lassen oder etwas Ähnliches, wofür ein paar Rubel heraussprangen.
      Der moderne junge Mann, der diesmal eintrat, machte einen besonders ansprechenden Eindruck. Er trug Melone, einen steifen Kragen, eine

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