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Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Bashevis Singer
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sie mit den Füßen in Richtung Tür und mit Scherben auf den Augen daliege.
      »Was hat er getan?«
      »Rebbezin, er hat unseren Herd verspielt!«
      »Den Herd? Wie kann man den Herd verspie
    len?«
      Dieser Mann hatte in seiner Wohnung anscheinend keinen fest eingebauten Kachelherd, so wie wir, sondern einen transportablen aus Eisen. Und den hatte er beim Kartenspiel verloren. Männer waren in die Wohnung gekommen und hatten ihn abgeholt.
      Die Frau hörte gar nicht auf mit ihrem schauerlichen Gekreische. Mutter versuchte normalerweise, zwischen Eheleuten Frieden zu stiften, aber dieser Vorfall traf sie im Innersten. Peinlich berührt, wie tief ein Mensch sinken konnte, stand sie stumm und starr da. Die Frau begann eine ganze Liste von Charakterfehlern aufzuzählen, einer schlimmer als der andere. Mutter war mit der Frau so beschäftigt, daß sie meine Anwesenheit nicht einmal bemerkte. Unter anderen Umständen hätte sie mich sicher weggescheucht. Ich hatte schon gewußt, daß die Menschen zu Unrecht aller Art imstande sind, aber von solchen Schändlichkeiten hatte ich noch nie gehört. Wer hätte gedacht, daß solche Übeltäter ganz in unserer Nähe wohnten?
      Vater schickte mich aus, um den Mann vorzuladen, und ich zog voller Neugier los. Ich stieg bis in ein oberes Stockwerk hinauf und fand eine halbgeöffnete Tür. Mehrere Kinder waren beim Spielen und schrien wild durcheinander. Auf einem ramponierten Sofa lag ein fetter, unrasierter Mann mit dickem gelbem Schnurrbart, in einem Hemd mit angeknöpftem Kragen und Stiefeln mit dazu passenden hohen Ledergamaschen von der Sorte, wie Schläger und gemeines Pack sie tragen. Er war barhaupt, und sein sandfarbenes Haar war kurz geschnitten. Er sah verschlafen, betrunken und wütend aus.
      »Was willst du?«
      »Ihre Frau lädt Sie vor den Rabbi.«
      »Zum Rabbi, wie?«
      »Ja.«
      »Will sie die Scheidung?«
      »Ja.«
      »Schön. Ich halt' sie nicht ab!«
      Der Mann stand auf. Er wies seine Älteste an, ein Auge auf die Kleinen zu haben. Ein paar Minuten später erschien er in Vaters Gerichtszimmer. Seine Frau begrüßte ihn mit Verwünschungen, Ausrufen und geballten Fäusten.
      Er blaffte zurück und brüllte sie nieder: »Halt's Maul! Wenn du die Scheidung willst – von mir aus! Hör jetzt bloß auf, hier herumzuschreien!«
      Vater bat Mutter hinaus, um sich kurz mit ihr zu besprechen. Mutter vertrat die Ansicht, das streitende Paar solle nicht geschieden werden, weil es Kinder hatte. Vater stimmte ihr zu. Als er in den Raum zurückkehrte, in dem das Paar wartete, sagte er den beiden, was er in solchen Fällen immer sagte: Eine Scheidung sei keine Kleinigkeit; so etwas solle man nicht überstürzt durchführen. Man solle die Sache ernsthaft überlegen; man müsse Rücksicht auf die Kinder nehmen.
      Die Frau kochte vor Wut. »Dann gehe ich eben zu einem anderen Rabbi.«
      »Kein anderer Rabbi wird Sie so schnell scheiden.«
      Bei diesen Worten zeigte Vater ein leichtes Lächeln. Er hatte gelogen um des lieben Friedens willen. Denn es gab in Warschau durchaus Rabbis, die keine Umstände machten und auf Wunsch jede schnelle Scheidung vollzogen. Ein Rabbi in unserer Straße, den ich nicht nennen will, tat sich mit diesen Blitzscheidungen besonders hervor. Wer weiß, vielleicht trieb ihn die Not dazu. Jener Rabbi hatte tatsächlich so etwas wie eine Scheidungswerkstatt – gelegentlich saßen mehrere Schreiber gleichzeitig in seiner Wohnung und fertigten Scheidebriefe aus. Unter den Warschauer Rabbis hatte man oft darüber gesprochen, ob man seine Scheidungen für ungültig erklären sollte.
      Die Eheleute blieben noch lange und überhäuften einander mit Beleidigungen und Verwünschungen. Der Krach war bis auf die Straße zu hören. Die Frau zählte alle Untaten ihres Mannes auf, allen Ärger und alle Demütigungen, die sie von ihm hatte erdulden müssen seit dem Tag, da ihr Unglück gewollt hatte, daß sie ihn heiratete. In einem Moment weinte sie, im nächsten wieder schrie sie gellend laut; mal sprach sie sanft, geradezu flehend, und dann wurde sie wieder wild. Ihre Hände schienen ständig nach etwas greifen zu wollen. Hätte sie in unserer Wohnung einen Gegenstand gefunden, mit dem sie ihren Mann hätte schlagen oder den sie ihm an den Kopf hätte werfen können, hätte sie ihre mörderische Wut bestimmt irgendwie an ihm ausgelassen. Aber außer Büchern gab es nichts, wonach sie hätte greifen können.

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