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Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Bashevis Singer
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kann man nicht essen. Alle Probleme kommen vom Geld. Der Plan der Anarchisten ist, jeder Mensch soll vier Stunden täglich arbeiten, und als Gegenleistung gibt man ihm alles, was er braucht. Jeder Mensch wird arbeiten müssen. Und ich werde Schuster!« sagte Vater kühn. »Vier Stunden täglich werde ich Stiefel machen, und dann setze ich mich hin und studie re. Gerade so, wie geschrieben steht: ›Liebe die Arbeit und hasse das Rabbinat.‹«
      Die Vorstellung, Vater werde Schuster, rief allgemeines Gelächter hervor. Auch Vater lächelte, aber er schien von dieser neuen Idee völlig eingenommen zu sein. Warum er »Anarchismus« dazu sagte und nicht »Sozialismus«, weiß ich nicht. Offensichtlich hatte man sie ihm unter diesem Namen verkauft.
      »Viele große Leute haben sich dieser Idee angeschlossen«, fuhr Vater fort, »auch Generäle und Grafen. Es mangelt ihnen an nichts, aber sie wollen Gerechtigkeit. Alles erwächst aus Arbeit: Ein Haus wird von dem einen gebaut, ein Kleidungsstück von einem anderen genäht. Um Brot machen zu können, muß jemand pflügen, säen und ernten. Vom Geld kommt nichts. Wenn das aber so ist, wozu brauchen wir dann Geld? Die ganze Woche lang werden die Leute arbeiten und am Freitag eine Quittung erhalten als Beleg, daß sie gearbeitet haben, und auf der Grundlage dieser Quittung bekommen sie dann im Laden all das, was sie brauchen.«
      Mir gefiel diese Idee. Aber meine Mutter hatte einige Fragen: »Und was ist mit der Wohnung?«
      »Jeder bekommt eine Wohnung.«
      »Wer würde eine auf dem Dachboden oder im Keller haben wollen? Wenn jeder vier Stunden arbeitet, will jeder eine schöne Wohnung haben.«
    »Man wird darum losen.«
      »Und was würde passieren, wenn jemand in ein Geschäft käme und zehn Kleidungsstücke verlangte statt einem?«
      »Warum sollte er mehr haben wollen? Jeder würde nur nehmen, was er braucht.«
      »Einige Leute wohnen in der eleganten Marszalkowskastraße«, sagte Mutter, »und andere irgendwo im Hinterhof der Stadt, außerhalb der Vorstädte, in Pelcowizna oder sogar in Sibirien. Wenn alle gleich sind, würde jeder in der Marszalkowska wohnen wollen.«
      »Spielt es eine Rolle, wo man wohnt?«
      »Jeder würde für sich das Schönste und Beste haben wollen.«
      »Das ist nur so wegen des Geldes. Wenn der böse Drang zum Geld erst einmal verschwunden ist, werden die Leute mit wenig zufrieden sein«, sagte Vater.
      »Wenn jeder arbeitet, zu wem geht man dann wegen religiöser Fragen?« fragte ich.
      »Ich werde religiöse Frage entscheiden«, erwiderte Vater.
      »Aber unentgeltlich. Man darf kein Geld dafür nehmen, daß man religiöse Fragen oder einen Rechtsstreit entscheidet. Man darf seine Toragelehrsamkeit nicht als Einkommensquelle benutzen.«
      »Und was geschieht mit dem Geld?«
      »Papiergeld ist bloß Papier, also wertlos. Aus dem Gold machen sie vielleicht Schmuck oder was weiß ich.«
      Vater sprach von alledem, als würde es bald geschehen, morgen schon, doch Mutter zeigte das weise Lächeln des wissenden Erwachsenen, der kindischen Phantasien lauscht.
      »Geh Händewaschen. Das Abendessen wird kalt.«
      Während der Mahlzeit hörte Vater nicht auf, vom Anarchismus zu reden.
      »Natürlich sehnen die Juden sich nach dem Messias, aber solange sie in der Verbannung sind, wäre es eine gute Sache. Wir müßten keine Miete zahlen. Es gäbe keine Diebe. Warum würde ein Dieb stehlen, wenn er vier Stunden täglich arbeiten könnte? Wir brauchten keine Polizisten oder Hausknechte, um die Tore abzuschließen, und es gäbe weder Soldaten noch Kriege. Denn um was führen Könige Krieg? Um Geld.«
      »Vater, müßte auch der Zar arbeiten?«
      »Warum nicht? Jeder König müßte ein Handwerk lernen«, sagte Vater. »Unser Zar würde das Schustern lernen. Auch ein König muß ein Handwerk lernen. Was würde er sonst tun, wenn er nicht mehr König ist? Er müßte als Bettler von Tür zu Tür gehen. Mit einem Handwerk wäre sein Lebensunterhalt gesichert.«
      »Und wer würde den Müll wegschaffen?« fragte Mutter.
      »Und wer würde Gerber sein wollen? Und wer Schornsteinfeger und beim Herumklettern auf Dächern sein Leben riskieren?«
      Vaters Erklärungen waren vergebens. Mutters Fragen wurden immer bohrender. Plötzlich verkündete sie: »Und warum sollten die Reichen damit einverstanden sein? Sie haben Paläste, Dienstboten, Kutschen. Warum sollte Rothschild alles, was er hat,

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