Ein Braeutigam und zwei Braeute
rötlichen Bart und blaue Augen, aber Reb Nachman war ein eleganter Chassid. Sein Kammgarnkaftan glänzte stets fleckenlos. Auf seiner Nase ruhte eine goldgeränderte Brille, die an einer schwarzen Schnur hing. Seine Stiefel waren blitzblank gebürstet. Gescheit und liebenswürdig, kam er aus guter Familie und war ein ehemaliger Schüler Reb Zodik Lubliners, der in seinem Leben mehrere hundert Bücher geschrieben hatte, die Reb Nachman immer wieder nachdruckte. Vater genoß Reb Nachmans witzige Bemerkungen und Reb Nachman Vaters unerschrockene Reden. Sie verstanden sich hervorragend. Auch wenn ich Reb Nachman den Radzyminer Rebbe mit einigen Schimpfnamen belegen hörte, war Reb Nachmans gesamtes Auftreten das eines Gelehrten und Aristokraten.
Doch wehe den jüdischen Aristokraten!
Denn trotz aller Bücher, die Reb Nachman verlegte, verdiente er an ihnen nicht einen Groschen – und darum mußte sein Sohn Zigaretten fabrizieren. Anscheinend war das kein koscheres Gewerbe. Es war Schwarzhandel, weil Zigarettenpackungen eigentlich eine Einfuhrzollmarke tragen mußten zum Nachweis, daß die Abgabe bezahlt war. Aber was blieb einem gelehrten Juden mit Frau und Kindern denn übrig? Sein Sohn verhökerte diese Zigaretten an Läden und trug damit zu ihrem Lebensunterhalt bei; möglicherweise war es sogar ihr einziges Einkommen.
Einmal schickte mein Vater mich zu Reb Nachman, ich erinnere mich nur nicht mehr, warum. In seiner Wohnung sah es etwas anders aus als bei uns. Es gab mehr Kinder und auch mehr Möbel. Er saß mit Jarmulke und in einer alten Weste an seinem Schreibtisch. Vor sich ausgebreitet hatte er Farbgriffel, Tintenfässer und Fläschchen mit Ausziehtusche. Reb Nachman hatte nicht nur eine schöne Handschrift, sondern konnte als begabter Zeichenkünstler auch Lettern »drucken« und auf diese Weise Titelseiten mit allerlei winzigen Blumen, Rädern und Kreisen verzieren.
Da Reb Nachman oft zu uns kam und mein Vater selten zu ihm, empfing man mich fürstlich. Reb Nachman unterhielt sich mit mir von gleich zu gleich. Da er schon gehört hatte, daß mein älterer Bruder Israel Joschua vom rechten Weg abgekommen war, sprach er zu mir über Ketzer. Er zeigte mir ein Blatt Papier, auf das er alle möglichen Blumen, kleine Vögel und Adler gezeichnet hatte.
»Sieh dir das an«, sagte er. »Wenn jemand dir erzählte, alles das sei von selbst entstanden, würdest du sagen, der Mann ist verrückt. Doch die Ketzer behaupten, die Welt sei von selbst entstanden. Ist das nicht Wahnsinn?«
»Ja, natürlich.«
»Und der Mensch, behaupten sie, stammt vom Affen ab. Aber woher kommt dann der Affe? Kann ein Affe sich selber erschaffen?«
»Nein.«
»Und die Erde, sagen sie, hat sich von der Sonne losgerissen. Aber, bitte sehr, woher kommt dann die Sonne? Sie schwatzen allen möglichen Unsinn, nur um nicht die Wahrheit eingestehen zu müssen, daß es einen Schöpfer gibt.«
Reb Nachmans Worte ließen mich rot werden. Bei uns zu Hause wurde nicht so respektvoll mit mir gesprochen. Da war ich bloß ein kleiner Junge. Aber hier wurde ich wie ein junger Mann behandelt und bekam ein Glas Tee und ein Küchel. Ein Mädchen meines Alters mit dunklem Haar und langen Zöpfen kam ins Zimmer, ein zweites nach ihr. Ich roch, daß in der Küche Frikadellen gebraten wurden. Reb Nachmans Wohnung war nicht so kahl wie unsere. Hier gab es alles zugleich: Tora, kluge Reden, Mädchen, gutes Essen und einen Tisch voller Stifte, Tinten, Pinsel und Schablonen. Und dann sprach Reb Nachman auch noch von den Ketzern, über deren Ansichten ich schon längst Näheres wissen wollte.
Auf einmal wurde laut an die Wohnungstür gehämmert. Man hörte Lärm; Gojim sprachen. Reb Nachman sprang von seinem Stuhl auf. Auch ich stand auf und wurde Zeuge einer beklemmenden Szene: In die Küche drängte Polizei. Ich sah einen Kriminalpolizisten, einen Untersuchungsbeamten und andere Amtspersonen in krönchenverzierten Uniformen mit Goldknöpfen. Der Gerichtsvollzieher, den Hut in der Hand, folgte ihnen auf dem Fuß. Sogar ein Mann in Zivil war dabei, ein Geheimagent. Ich verstand ihr Russisch nicht, aber aus der Art und Weise, wie die Beamten herumschrien, aufstampften und ihre Säbel gepackt hielten, schloß ich, daß dies eine Hausdurchsuchung war. Reb Nachmans Gesicht wurde fahl wie Papier. Die kleinen Mädchen verkrochen sich verängstigt in eine Ecke. Seine Frau redete flehentlich auf die Männer ein, aber sie brüllten
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