Ein Braeutigam und zwei Braeute
scheiden lassen will. Er besaß die Fähigkeit, seine Stimme zu verändern, in tiefstem Baß zu sprechen und gleich darauf in einen schrillen Sopran zu wechseln. Er improvisierte sehr witzige Dialoge und brachte mit seinen Sketches alle zum Lachen. Reb Jekl lachte so sehr, daß ihm die Tränen in den schwarzen Bart rannen. Seldele und Schifra mußten so heftig lachen, daß sie einander in die Arme fielen. Dann tanzten die Jugendlichen im Kreis und brachten Reb Jekl dazu, daß er mitmachte. Ich, der kleine Junge, hopste in der Mitte.
Später brachten Seldele und Schifra noch einen Imbiß, und Jekl Safir verkündete: »Kinder, was will ich denn? Doch nur meinen Trübsinn eine kleine Weile vergessen. Wäre ich nicht ein dürrer Baum, hätte ich jetzt schon Enkelkinder. Aber ich bin ganz alleine. Hätte ich euch nicht, hätte ein Feiertag überhaupt keinen Sinn.«
Seldele unterbrach ihn: »Aber sie werden ausfliegen wie die Schwalben. Kaum sind sie verlobt, werden sie uns ganz und gar vergessen und sich davonmachen und uns nicht einmal zu ihrer Hochzeit einladen.«
»Laß sie. Ich halte sie nicht auf. Aber heute ist Feiertag. Wenn sie grausam und undankbar sein wollen, dann bitte sehr … Ich, Jekl Safir, habe breite Schultern … Gott hat uns gestraft … Aber, sind leibliche Kinder besser? Sie heiraten und vergessen ihre Eltern … Und was ist mit unserer Schifra? Kaum ist sie Ehefrau, wird auch sie uns eine lange Nase drehen.«
»Der alte Herr sollte nicht so reden. Ich werde besser sein als eine Tochter.«
»Na ja, wir werden sehen. Die Menschen sind falsch. Ich bin öfter hereingelegt worden, als ich Haare auf dem Kopf habe. Aber wenn ich einen jungen Gelehrten darben sehe, muß ich ihm helfen. Ich würde mein letztes Hemd für ihn geben.«
»Du bist ein Narr, mein lieber Mann, ein Narr.«
»Und du bist gescheit, Seldele? Wenn die Burschen sich nicht sehen lassen, läßt du mir keine Ruhe.«
Während dieses ehelichen Schlagabtauschs langten die Studenten zu, sangen, erzählten Witze und planten neue Feste, für die Jekl Safir aufkommen würde. Mein Bruder war einer der wenigen Studenten, mit denen Jekl Safir sich wirklich gut verstand, und er liebte ihn wie einen Sohn.
Als meine Eltern mit meiner Schwester zu deren Hochzeit nach Berlin fuhren, plante mein Bruder gleich am Abend des Abreisetags ein Fest für seine Kommilitonen bei uns zu Hause. Reb Jekl Safir war zum erstenmal geladener Gast anstatt Gastgeber. Er kam mit seiner Frau und dem Mädchen Schifra. Nachbarinnen kochten den Studenten das Abendessen. Mädchen aus den Nachbarwohnungen boten ihre Hilfe bei dieser ungewöhnlichen Feier an.
Reb Jekl ließ Wein und Bier kommen. Ich weiß nicht mehr, was wir mit unserem jüngeren Bruder Mojsche gemacht haben. Zweifellos schlief er bei Nachbarn. Die Studenten tranken, lachten, waren ausgelassen und tanzten. Wir tanzten so lange, daß der Hausknecht heraufkam und schrie, in der Wohnung unter uns riesele der Kalk von der Decke. Ein Polizist kam, um nachzufragen, ob wir eine Versammlungsgenehmigung hatten. Er drohte damit, die Gebühr einzutreiben, bis Reb Jekl ihn in ein Nebenzimmer rief und ihm etwas in die Hand drückte. Danach setzte Reb Jekl, schon ziemlich angetrunken, zu einer feierlichen Rede an.
»Jungs, ihr seid alle meine Kinder … Ihr seid alle in meinem Herzen beschlossen … Tausende von Studenten sind durch mein Haus gezogen, und ich erinnere mich an jeden einzelnen … Manche haben schon Kinder, und die sind meine Enkel.«
Jekl Safir fing an zu weinen – und gleich darauf wischte sich auch Seldele die Tränen aus den Augen und küßte das Mädchen Schifra.
Die ganzen zwei Wochen, die meine Eltern in Berlin waren, herrschte in unserer Wohnung Anarchie. Mädchen kamen, um für uns zu kochen und sauberzumachen. Irgendwer bereitete Tscholent vor, für den Sabbat. Mein Bruder malte in Vaters Gerichtszimmer Bilder und brachte haufenweise Bücher mit.
Ich versuchte, sie zu lesen, verstand aber nur sehr wenig. Ich war eigentlich noch Elementarschüler, ging aber nur selten zum Unterricht. Meine Eltern brauchten zu Hause meine Hilfe. In Wahrheit haßte ich den Cheder, und meine Familie hatte sich schnell damit abgefunden, daß ich hinging, wenn ich Lust hatte, und nicht, wenn mir nicht danach war. Außerdem hatte mein Vater nicht genug Geld, um den Lehrer zu bezahlen, und ich besuchte den Cheder für so gut wie nie. Aber das Fünfbuch lernte
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