Ein Buch für Hanna
Haus und Hof und in ihrer Futtermittelgroßhandlung haben sie keine Interessen, ganz bestimmt keine kulinarischen. Auch in dieser Hinsicht hat Hanna es besser getroffen als ich. Rasmine ist wirklich eine großartige Köchin, kein Wunder, dass Hanna zugenommen hat. Sie ist nicht dick, beileibe nicht, aber längst nicht mehr so mager wie früher, und gewachsen ist sie auch.
Wir haben um den Tisch gesessen und uns unterhalten, auf Dänisch und mit Händen und Füßen. Wenn jemand uns zugeschaut hätte, hätte er sich sicher krankgelacht. Rasmine hat gesagt, sie betet jeden Tag, dass dieser Hitler von einem Blitzschlag getroffen wird, dann könnten wir wieder nach Hause zurückkehren, zu unseren Eltern. Aber so schnell wird man nicht von einem Blitz getroffen, und dass jemand von einem herunterfallenden Ast erschlagen wird, passiert ja auch eher selten. Rasmine hat Krankheiten vorgeschlagen, von denen wir aber nur Cholera verstanden haben, vermutlich hat sie auch noch so etwas wie Pest und Aussatz gemeint. Sie ist ein Schatz, diese Rasmine, sie hat es natürlich nur gesagt, um uns zu trösten.
Wir haben versucht, ihr klarzumachen, dass wir nach Palästina wollen und warum wir das wollen. Keine Ahnung, ob sie es verstanden hat, uns haben einfach zu viele Wörter auf Dänisch gefehlt, Wörter wie »Heimstatt für das jüdische Volk«, »völkerrechtliche Gleichstellung der Juden« und »Urbarmachung der Wüste«. Sie weiß noch nicht mal, was Zionismus ist, obwohl das Wort auf Dänisch auch nicht viel anders klingen kann, und natürlich hat sie nie etwas von Theodor Herzl* gehört. Palästina ist so weit weg, hat sie gesagt, es wundert mich, dass eure Eltern damit einverstanden sind. Erlauben sie es euch? Hanna hat von ihrer Schwester Helene erzählt, aber Rasmine hat natürlich auch nicht gewusst, was ein Kibbuz ist, und wir hatten keine Ahnung, wie man das in einfachen Worten erklärt, wir haben es bei »großer Bauernhof« belassen. Ich habe gesagt, mein Vater sei auf jeden Fall einverstanden, er habe selbst mal auswandern wollen, aber meine Mutter nicht. Früher habe sie es jedenfalls nicht gewollt, vielleicht habe sie ihre Meinung inzwischen ja geändert.
Und dann, als ich schon meinen Mantel anzog, weil meine dänischen Sklaventreiber verlangen, dass ich um elf Uhr zurück bin, nicht aus Sorge um mein Wohlergehen, sondern um meine Arbeitskraft, hat Hanna mir ein Päckchen in die Hand gedrückt. Hier, für dich, hat sie gesagt, mach’s erst zu Hause auf. Ich musste fast lachen, weil sie rot wurde.
Da sitze ich nun in meinem »Zuhause«, das kaum armseliger sein könnte. Von der Tür bis zu dem kleinen Fenster sind es nur drei, vier Schritte, gerade lang genug, dass ein Bett an die Wand passt, und der Raum ist so schmal, dass ich vom Bett aus den Tisch an der gegenüberliegenden Längswand berühren kann. Auf dem Tisch finden nur eine Waschschüssel und eine Kanne fürs Wasser Platz. Zu diesem wirklich spärlichen Mobiliar gehören noch ein Spind und ein Hocker, auf den ich abends, wenn ich mich ausziehe, meine Kleider lege. Und unter dem Bett ein Nachttopf. Ein Nachttopf! Bei den Goldes gibt es ein piekfeines Badezimmer und eine zusätzliche Toilette.
Ich sitze auf dem Bett und halte Hannas Geschenk in den Händen: eine Katze aus gebranntem Ton, zusammengerollt in einem runden, aus dünnen Tonrollen geflochtenen Körbchen. Die Farben der Katze sind so, wie ich ihr Mimi beschrieben habe, schwarz mit einem weißen Gesicht und weißen Vorderpfoten und mit Augen wie dunkler Bernstein. Ich sitze da und heule wie ein kleines Kind, als wäre Mimi erst gestern verschwunden. Dabei ist es schon fünf Jahre her.
Normalerweise gehört Mimi zu den Themen, die ich für mich behalte. Nicht weil es ein Geheimnis ist, sondern weil es Dinge gibt, die andere nichts angehen. Warum ich Hanna letzte Woche von Mimi erzählt habe, weiß ich gar nicht. Vielleicht weil wir von früher gesprochen haben und sie mich früher immer an Mimi erinnert hat, so klein und dünn und jämmerlich, wie sie aussah, mit diesem dreieckigen, weißen Gesicht wie Mimi und den dunklen, struppigen Haaren, die mich immer an Mimis Fell erinnert haben. Das helle Gesicht und die struppigen Haare hat sie behalten, aber so klein und dünn sieht sie nicht mehr aus und sie kriegt endlich einen Busen. Ich hab’s genau gesehen, trotz ihrer weiten Bluse, aber gesagt habe ich natürlich nichts, es wäre ihr bestimmt peinlich gewesen. Ich werde nie vergessen, wie
Weitere Kostenlose Bücher