Ein Buch für Hanna
Knecht Morten, beide nicht mehr ganz jung. Nie würde Hanna vergessen, wie entsetzt sie gewesen war, als sie hörte, dass sie mit Bente das Zimmer teilen sollte. Bente war eine grobknochige Frau von abstoßendem Äußeren. Nichts in ihrem Gesicht passte zusammen, die breite, überlange Nase nicht zu dem fliehenden Kinn, das fast unmerklich in dem wulstigen Hals verschwand, die Hängebacken nicht zu den kleinen, tief liegenden Augen, die nicht wirklich schielten, aber ständig hin und her rollten, als falle es ihnen schwer, sich auf einen Punkt zu fixieren, und deshalb oft aussahen, als würden sie schielen. Am abstoßendsten war jedoch das große rote Feuermal, das sich über Bentes linke Wange zog, von der Schläfe bis zum Mundwinkel. Das Mal war seltsam gezackt und erinnerte Hanna an die Fledermäuse in Jespers und Maries Werkstatt.
Am ersten Abend lag Hanna im Bett, lauschte den lauten, schnarrenden Atemzügen dieser unheimlichen Frau und wusste nicht, was größer war, ihre Angst oder ihr Abscheu. Doch es dauerte nicht lange, da verstand sie beides nicht mehr, weder die Angst noch den Abscheu, denn Bente erwies sich als freundliche, warmherzige Frau, und Hanna schämte sich, weil sie sich von ihrem ersten Eindruck hatte abschrecken lassen. Und sie dachte an ihre Mutter, die immer wieder gesagt hatte, man dürfe einen Menschen nie nach seinem Äußeren beurteilen, denn nicht selten verberge sich hinter einer schönen Fassade der Engel des Bösen und hinter einer hässlichen ein gutes Herz.
Und so war es, Bente hatte ein gutes Herz. Sie zeigte Hanna mit großer Geduld, wie das Leben auf dem Lindenhof ablief und welche Arbeiten von ihr erwartet wurden, und nie gab sie ihr ein böses Wort. Im Gegenteil, sie verteidigte sie, wenn Morten, der Knecht, beim geringsten Anlass, bei jeder Ungeschicklichkeit und bei jedem Versehen eine boshafte Bemerkung über dieses dumme Ding aus der Stadt machte, das von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte, wie er es ausdrückte. Oder wenn er über diese Juden schimpfte, die außer Schachern und Wuchern nichts konnten, zumindest keine anständige Arbeit. Hanna sah dann immer ihre Mutter vor sich, wie sie an der Nähmaschine saß, aber sie wagte nichts zu sagen, weil sie auch nicht wusste, wie sie ihren Widerspruch hätte formulieren können. Deshalb war sie froh, wenn Bente dem Knecht über den Mund fuhr.
Morgens, kaum dass es hell wurde, musste Hanna aufstehen und Bente bei der Zubereitung des Frühstücks helfen, sie brühte Kaffee auf und kochte Haferbrei. Morten, der Knecht, war um diese Zeit schon im Stall, fütterte und molk die fünf Kühe, die danach auf eine Weide gebracht und erst zum Abendmelken wieder in den Stall geholt wurden. Nach dem Frühstück, das sie alle zusammen mit dem wortkargen Bauern in der großen Küche einnahmen, spülte Hanna das Geschirr und räumte auf, während Bente oben im Schlafzimmer die bettlägerige Bäuerin, die sie immer nur »die Frau« nannte, wenn sie von ihr sprach, wusch und fütterte. Dann ging sie mit Hanna hinaus, um die Tiere zu versorgen. Sie streuten den Hühnern Körner hin, gemischt mit Fischmehl, in dem man noch die zerbrochenen Panzer winziger Krebse erkennen konnte, und suchten die Eier zusammen, die von den Hühnern nicht nur in die vorbereiteten Nester gelegt wurden, sondern ebenso in den offenen Holzschuppen und sogar in das üppig wuchernde Unkraut zwischen den Ställen.
Dann kamen die Schweine an die Reihe. Hanna und Bente schleppten die Töpfe mit alten Kartoffeln, Küchenabfällen, Mais und Rüben, die Bente schon vorgekocht hatte, von der Waschküche zum Schweinestall, in dem sich die Koben für die vier Sauen befanden, von denen zwei geworfen hatten. Hanna hatte gedacht, sie würde den Ekel, den sie im ersten Moment vor diesen Tieren empfunden hatte, nie überwinden, nicht den Widerwillen gegen ihr Aussehen, gegen ihren Geruch und gegen ihr lautes, misstönendes Grunzen, das ihr in den Ohren wehtat. Ihr Leben lang hatte sie gehört, dass Schweine unrein waren und es den Juden aus religiösen Gründen verboten war, Schweinefleisch zu essen. Und obwohl ihre Mutter keineswegs religiös war und nichts dagegen hatte, beim christlichen Metzger zu kaufen, hatte es bei ihnen zu Hause doch nie Schweinefleisch oder Schinken gegeben, auch nicht bei den Goldes.
Hanna zuckte zurück, als Bente die Tür des Schweinestalls aufmachte und ihnen plötzlich Gestank und ohrenbetäubender Lärm entgegenschlugen. »Sie wissen, dass es jetzt
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