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Ein Buch für Hanna

Ein Buch für Hanna

Titel: Ein Buch für Hanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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so leuchtend hellen Grün, dass es Hanna den Atem nahm und sie sich fragte, ob sie je zuvor ein solches Grün gesehen hatte. Das kleine Mädchen aus dem Fliedermütterchen fiel ihr ein. »Hier ist es herrlich im Frühjahr«, sagte das kleine Mädchen. Da standen sie im Buchenwald, der eben frische Blätter bekommen hatte; zu ihren Füßen duftete der grüne Waldmeister und die blassroten Anemonen sahen im Grünen wunderniedlich aus. »Oh, wenn es doch immer Frühling wäre im duftenden Buchenwalde.«
    Auf den Äckern wurde der Mist in regelmäßigen Abständen mit einem Haken vom Wagen gezogen und dann mit der Forke verstreut. Das war eine harte Arbeit, denn der Mist war schwer. Hanna spürte, dass ihre Muskeln im Lauf des Winters an Kraft verloren hatten, sie schaffte es kaum, mit Morten Schritt zu halten. Der konnte sich eine Bemerkung nicht verkneifen: »Was ein verwöhntes Stadtmädchen tut, ist noch lange keine Arbeit.«
    Hanna war gekränkt, sie fühlte sich nicht mehr als Stadtmädchen. »Und wenn ein Dorfesel was sagt, ist das noch lange keine Weisheit«, fauchte sie. Der Bauer grinste.
    Dann machten sich die Männer daran, die Felder zu pflügen und zu eggen, während Hanna und Bente, wann immer sie neben der Versorgung des Viehs und des Haushalts ein bisschen Zeit fanden, damit begannen, die Gemüsebeete im Garten herzurichten. Die Arbeit riss nicht ab. Zum Glück kam Rasmus nun wieder regelmäßig, schließlich wurde jede Hand gebraucht.
    Hanna merkte erst jetzt, wie sehr sie den Jungen vermisst hatte. Er war über den Winter gewachsen und inzwischen so groß wie sie. Manchmal ertappte sie ihn dabei, dass er sie heimlich beobachtete, und wenn er das merkte, wurde er rot und schaute schnell zur Seite. Seine Blicke waren, als würden sie wie Finger über ihr Gesicht und ihren Hals streicheln. Diese Blicke machten sie unsicher, sie waren irgendwie ungehörig und doch angenehm. Ihr fiel auch auf, wie breit und muskulös seine Schultern geworden waren, und die Härchen auf seinen Armen und seiner Oberlippe glänzten wie Gold, wenn die Sonne darauffiel.
    Mitte April wurden die Saatkartoffeln aus der Miete geholt und mit der Hand verlesen. Viele Kartoffeln mussten aussortiert werden, weil sie entweder angefault oder erfroren waren. Hier auf dem Lindenhof waren die Saatkartoffeln kleiner als in Ahrensdorf, man konnte sich die Mühe sparen, sie entsprechend der Anzahl der Augen zu zerschneiden. Aber wie in Ahrensdorf wurden auch hier lange Furchen gezogen und die Kartoffeln im Abstand eines mittleren Schrittes in die Erde gelegt. Bevor die Furchen zugeschlagen wurden, musste das restliche Unkraut mit der Handhacke entfernt werden. Ohne Rasmus hätte Hanna das nicht geschafft.
    Dann wurden die Runkelrüben in Reihen ausgesät, und in den Wochen danach ging viel Zeit darauf, die Rübenfelder zu hacken und unkrautfrei zu halten.
    Als die Pflanzen eine gewisse Höhe erreicht hatten, musste mit dem Verziehen begonnen werden, im Abstand von etwa dreißig Zentimetern durfte nur eine Pflanze stehen bleiben. Hanna rutschte auf Knien durch die Reihen und war abends so müde, dass sie das Gefühl hatte, im Stehen einschlafen zu können.
    Ihren sechzehnten Geburtstag feierte sie nicht, noch nicht einmal in Gedanken, sie hatte ihn schlichtweg vergessen. Erst ein paar Tage später, als sie das Wohnzimmer aufräumte und die alten Zeitungen zum Feueranmachen neben der Holzkiste in der Küche stapelte, fiel ihr das Datum der obersten Zeitung auf: Freitag, 2. Mai 1941. Der 29. April war vorbeigegangen wie jeder andere Tag. Im letzten Jahr hatte sie noch eine Karte von ihrer Mutter bekommen.
    Abends, im Bett, erinnerte sie sich daran, wie sie in Kopenhagen ihren fünfzehnten Geburtstag gefeiert hatte. Rasmine hatte einen wunderbaren Kuchen gebacken, mit Schlagsahne und Schokoladenstreuseln und mit fünfzehn Kerzen darauf. Alle hatten ihr gratuliert und ein Lied für sie gesungen. Frau Golde hatte neue Anziehsachen für sie gekauft, von Britta und Dani hatte sie lustige Schokoladenfiguren bekommen und von Jesper und Marie das silberne Armband, das sie nach ihrer Ankunft auf dem Lindenhof in den braunen Umschlag gesteckt hatte, zu den Postkarten und den Fotos ihrer Mutter und ihrer Schwester. Nach kurzem Zögern hatte sie auch den Geldschein hinzugefügt, den sie von Herrn Golde bekommen hatte.
    Jetzt lag der Umschlag unter ihrer Wäsche im Schrank, den sie mit Bente teilte. Mit geschlossenen Augen tastete Hanna nach dem Zinnsoldaten,

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