Ein Cowboy für Bille und Zottel
wie möglich. Ihr Herz klopfte immer noch bis zum Hals.
Was hatte sie getan? Hatte es überhaupt einen Sinn gehabt? Würde Simon seine Haltung Tom gegenüber ändern, nur weil sie ihm gedroht hatte? Sie war zu ihm geritten, weil sie sich mit ihm hatte aussprechen wollen, weil sie herausbekommen wollte, was der Grund für sein Verhalten war. Und nun? Sie wußte genausowenig wie vorher. Hätte sie doch nur auf Onkel Paul gehört! Hätte sie sich die Mühe gemacht, in Ruhe nachzudenken, bevor sie mit Simon sprach — dann hätte sie sich durch seine kalte, steife Art auch nicht so leicht in Wut bringen lassen.
Bille ritt zu Tom zurück, aber bald verabschiedete sie sich. Sie war so niedergeschlagen, daß sie unbedingt allein sein mußte.
Onkel Paul öffnete ihr die Tür, als sie nach Hause kam.
„Warte, ich bringe Zottel für dich in den Stall. Du hast Besuch. Drinnen, im Wohnzimmer“, sagte er und zwinkerte ihr zu.
„Besuch?“
Verwundert betrat Bille das Haus, streifte die Stiefel ab und schielte zur Wohnzimmertür hinüber. Warum sagte Onkel Paul das so geheimnisvoll? Wer konnte sie schon besuchen? Ihre Patentante aus Hannover vielleicht? Die war lange nicht dagewesen.
Sicherheitshalber fuhr sich Bille einmal mit dem Kamm durch die Haare und zog ihren Pulli gerade. Dann öffnete sie die Tür.
„Simon!“ Bille vergaß vor Verblüffung den Mund zu schließen.
Simon war aufgesprungen und stand vor seinem Stuhl wie ein Abiturient, der merkt, daß er das Einmaleins vergessen hat.
„Ich... ich wollte...“Mehr kam nicht aus ihm heraus.
Bille ging langsam auf ihn zu und sah ihn aufmerksam an. Und plötzlich begriff sie alles. Simon starrte immer noch vor sich hin und suchte nach einem Anfang. Mit den Fingerspitzen strich Bille ihm über die Stirn, ganz zart, dann über die Augen und über den Mund.
Plötzlich — so unerwartet, daß sie fast zu Boden geworfen wurde — fiel Simon ihr um den Hals. Bille angelte mit einer Hand nach der Sessellehne und fand im letzten Moment ihr Gleichgewicht wieder. Bei der stürmischen Umarmung waren ihre Köpfe schmerzhaft zusammengestoßen, jetzt rieben sie sich die Schädel und grinsten einander verlegen an.
„Entschuldige“, sagten beide wie aus einem Mund und verstummten erschrocken wieder.
„Mir scheint, das müssen wir noch üben.“ Bille kicherte leise.
„Hm. Bist du mir noch böse?“
„Blöde Frage. Ich hab nur nicht kapiert, was los war.“
„Aber jetzt hast du’s?“
„Hm.“
Diesmal ging er behutsamer zu Werk. Langsam schlangen sich seine Arme um Billes Schultern, dann drückte er sie fest an sich.
„Ich war krank vor Eifersucht!“ flüsterte Simon. „Ich habe geglaubt, du wärst in ihn verliebt und...“
„In Tom? Das ist doch ein Witz! Warum hast du bloß nie...“
Draußen räusperte sich Onkel Paul.
„Ich muß gehen. Sehen wir uns morgen beim Reiten?“
„Klar.“
„Und sag Tom, ich komme ihn morgen besuchen. Allein, okay?“
„Sag ich ihm.“
„Also dann...“
„Bis morgen. Simon!“
„Ja?“
„Ich bin sehr froh, daß du gekommen bist!“
Neue Pläne
Simon kam nicht zum Reiten. Er saß den ganzen Nachmittag an Toms Bett und redete und redete. Bille schaute immer wieder zu Toms Fenster hinauf, wenn sie vom Stall zur Reithalle hinüberritt oder zurück. Und jedesmal wurde sie vergnügter. Es hatte also geklappt! Die beiden waren endlich Freunde geworden.
Herr Tiedjen trainierte zwei Stunden mit Bille. Erst ritt sie Troja, dann war Black Arrow an der Reihe. Wie so oft, ging es um stilistische Feinheiten, um die Einheit zwischen Reiter und Pferd.
„Du bist heute sehr gelöst und konzentriert. Fein!“ lobte er seine eifrigste Schülerin. „Wenn du so weitermachst, kann ich dich bald auf größere Turniere schicken. Übrigens, hast du Lust, heute bei uns Abendbrot zu essen? Ich möchte etwas mit
Tom und dir besprechen.“
„Gern! Ich rufe gleich zu Hause an.“
Bille versorgte Black Arrow, half Petersen und Hubert noch ein wenig im Stall, dann ging sie zum Haus hinüber. Als sie die Treppe hinaufging, kam ihr Simon entgegen. Sie lächelten sich zu, und Simon berührte im Vorübergehen ganz leicht ihre Hand.
„War ein dufter Nachmittag“, sagte er. „Wirklich.“
„Fein. Bis morgen dann also!“
„Bis morgen. Tschüß!“
Tom war zum erstenmal aufgestanden. Er strahlte.
„Ich fühle mich stark wie...“
„Wie Goliath, bevor ihm David begegnete“, vollendete Bille den Satz und tippte ihm vor
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