Ein delikater Liebesbrief
Simon Darby die Premiere der komischen Oper seines besten Freundes verpasste. In der Depesche, die er Rees am nächsten Tag schickte, stand zu lesen, dass er urplötzlich krank geworden sei und in den nächsten Tagen das Bett hüten müsse.
Rees las das Briefchen und schnaubte verächtlich. Er wünschte Darby beinahe, dass er an den Windpocken erkrankt wäre, hielt es jedoch für unwahrscheinlich.
40
Von Eisfeen und anderen Zauberwesen
Henrietta war nicht unbedingt ein Gewohnheitsmensch. Sie dachte nicht viel über Kreisläufe oder gewisse wiederkehrende Tage im Monat nach. Eines Morgens jedoch, noch im Bett, dachte sie unvermittelt wieder an Millicents Ratschläge bezüglich des Ehelebens. Wie traurig, dass ihre Stiefmutter den körperlichen Aspekt so unerfreulich und schmutzig gefunden hatte und gar nicht lustvoll.
Bei dem Gedanken an Schmutz erstarrte sie plötzlich.
Ihre monatliche Blutung war ausgeblieben. Mit angehaltenem Atem begann Henrietta zurückzurechnen. Sie war jetzt fast vier Wochen verheiratet. Das bedeutete, seit ihrer letzten Monatsblutung waren mehr als sechs Wochen vergangen. Sie war überfällig.
Mit einem bleiernen Gefühl in Armen und Beinen sank sie in die Kissen zurück und atmete schwer. Wie hatte es nur dazu kommen können? Sie hatte Esmes Anweisungen doch sorgfältig befolgt, wenn sie den Schwamm benutzt hatte! Immer wieder rechnete Henrietta nach, als ließe sich dadurch etwas ändern. Ihre Zofe trat ein, um ihr einige Kleider zur Auswahl vorzulegen, doch sie winkte nur matt ab. Wozu sollte sie sich noch ankleiden, wenn sie gerade ihr Todesurteil erhalten hatte?
Es war einer der schlimmsten Vormittage in Henriettas Leben. Darby hatte eine Besprechung mit seinem Verwalter. Die Kinder spielten oben mit ihrem neuen Kindermädchen.
Niemals hatte Henrietta sich so allein gefühlt. Sie blieb den ganzen Morgen im Bett liegen und starrte auf den Spitzenhimmel. Sie weinte nicht. Sie versuchte nur zu atmen.
Am Ende erhob sie sich doch, legte das Nachthemd ab und betrachtete ihren Körper im Spiegel. Er wies keinerlei Veränderungen auf. Nirgends eine angedeutete Schwellung. Ihre Augen, unter denen dunkle Ringe lagen, starrten ihr aus dem Spiegel entgegen. Soweit Henrietta wusste, konnte sich ihr Bauch jeden Moment zu wölben beginnen. Sie kannte zwar Frauen in ihrem Dorf, die eine Schwangerschaft über Monate verborgen hatten, doch kleine schlanke Frauen wie sie waren von Beginn an unförmig.
Henrietta legte ihre gespreizten Hände auf den Bauch und gab sich gefährlichen Wunschträumen hin. In ihr hatte eine kleine Knospe zu reifen begonnen. Ein Baby. Ein eigenes Kind. Vielleicht ein kleines Mädchen, das Darbys Schönheit erben würde. Ihr ganzer Körper sehnte sich nach diesem Kind. Wenn sie doch nur …
Sobald Darby davon erfuhr, würde er nach der kleinen Flasche fragen, die er ihr in der Hochzeitsnacht gegeben hatte. Und Darby hätte recht, dachte Henrietta und versuchte sich selbst zu überzeugen. Alle sagten ja, was für ein Wunder es sei, dass sie überlebt habe. Sollte sie ihr Leben opfern und das ihres Kindes dazu? Welchen Nutzen sollte das haben?
Keinen Nutzen , dachte sie im Rhythmus ihres klopfenden Herzens. Keinen Nutzen. Nutzlos.
Das Blut pochte in ihrem Körper, jeder einzelne Herzschlag sagte ihr, dass sie keine Wahl hatte. Wäre Henrietta anders veranlagt gewesen, so hätte sie jetzt einen hysterischen Anfall erlitten. Doch so blieb es bei rasendem Herzklopfen und unzähligen Gedanken, die sich endlos in ihrem Kopf drehten.
Am Abend bat sie Darby um etwas Ruhe, und er schlief in einem anderen Zimmer, als sie eine nahende Erkältung vorschützte. Er fragte so nett, was ihr denn fehle, dass sie es ihm beinahe erzählt hätte … doch das hätte das Ende ihres Kindes bedeutet. Sie konnte es nicht tun, zumindest jetzt noch nicht. Sie konnte nicht die Medizin schlucken und ihr Kind opfern. Noch nicht.
Ungefähr eine Stunde nachdem Darby sich in das andere Zimmer zurückgezogen hatte, gelangte Henrietta zu einer wichtigen Erkenntnis: Wenn ihr Leben vielleicht nur noch wenige Monate währte, wäre es dumm, auch nur eine Nacht allein zu verbringen. Und so schlüpfte sie in sein Bett, voller Dankbarkeit für seine vertrauten rauen Beine und dafür, dass er sich ihr im Halbschlaf zuwendete und sie in die Arme schloss. Sie genoss es, so mit ihm zusammenzuliegen, behaglich in seine Arme geschmiegt wie eine Walnuss in ihre Schale.
Henrietta glitt in unruhige Träume. Sie
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