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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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Fernsehkollegen los und strebte auf die Polizisten zu, die sein Interview aus sicherer Distanz verfolgten.
    Alles war ganz einfach gewesen, so, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Rösner hatte ihn zu seinem Mittelsmann gemacht, und, ja, er genoss seine Rolle. Die Scharlow wird sich totärgern, dachte er und atmete einmal tief durch.
    ***
    »Haben Sie die etwa alle gelesen?«, sagte er, trat vor eines der im Halbdunkel des Zimmers buntschimmernden Bücherregale und zog einen Band heraus. Vicki Baums »Liebe und Tod auf Bali«.
    »Lassen Sie das«, sagte Brigitte energisch, schob sich zwischen ihn und das Regal. Dabei kam sie ihm so nah, dass sie durch den Geruch von Seife und Schweiß hindurch den Alkohol riechen konnte, den seine Haut ausdünstete.
    »Okay, okay«, erwiderte er, schob das Buch zurück in die entstandene Lücke und fuhr wie ein Gitarrist, der seine Finger einmal andeutungsweise über alle sechs Saiten gleiten lässt, ohne sie wirklich anzuschlagen, an ihr vorbei über die verschiedenfarbigen Buchrücken und schob nun seinerseits sein Gesicht so nah an ihres heran, dass sie nicht anders konnte, als einen Schritt zur Seite zu machen, um ihm auszuweichen.
    »Raus hier! Sofort!«, rief sie und wies mit dem ausgestreckten Arm auf den Flur. Doch der Mann, der sich Boris nannte, dachte gar nicht daran, ihrer Aufforderung Folge zu leisten, sondern griff stattdessen nach dem hellen und wie ein Foto im Regal lehnenden quadratischen, streichholzschachtelgroßen Stück Karton, das Brigitte vor Jahren aus einem Verlagsprospekt ausgeschnitten hatte, und begann laut zu lesen: »Ich muss mir eine innere Welt erschreiben, wenn mir die äußere zu gefährlich wird. Vicki Baum.«
    Er verzog sein Gesicht zu einem verächtlichen Grinsen und stellte das Stück Karton wieder an seinen Platz zurück: »Ziemliche Spinnerin, diese Vicki Baum, was? Ich muss mir eine innere Welt erschreiben, wenn mir die äußere zu gefährlich wird. So ein Blödsinn!«
    »Raus, habe ich gesagt!«, rief Brigitte und zog ihn an der Schulter in Richtung Flur.
    »Raus, habe ich gesagt«, äffte er sie nach und entwand sich ihrer Berührung. »Das klingt aber gar nicht nett.«
    Er sah sich im Raum um und betrachtete länger das Poster,das schwarz gerahmt über dem hüfthohen Regal hing, in welchem Brigittes Baum-Erstausgaben standen. Darauf war ein mit einem rostbraunen Anzug bekleideter Hotelpage zu sehen, der vor einer gläsernen Drehtür stand, eine Tasche unter den Arm geklemmt hielt und einen Koffer und einen Vogelkäfig trug. Auf dem Boden stand eine weitere Tasche, daneben eine braune Hutschachtel. An der weißen Wand neben ihm war in blauen, historisch anmutenden Lettern zu lesen: »Vicki Baum«, und darunter: »Menschen im Hotel«.
    Brigitte hatte das gemalte, dem 1932 erstmals gezeigten Film nachempfundene Kinoplakat vor Jahren auf einem Flohmarkt auf dem Universitätsgelände in der Nähe des Albertus-Magnus-Platzes ergattert und es rahmen lassen. Seither hing es am selben Platz. Wenn sie in ihrem Lounge Chair saß und etwas las oder nachdachte, wanderte ihr Blick regelmäßig früher oder später dorthinauf.
    »Wer ist denn diese Baum? Eine Filmtussi oder so?«
    »Eine Schriftstellerin«, antwortete Brigitte genervt. »Und wenn Sie jetzt nicht auf der Stelle dieses Zimmer verlassen, rufe ich die Polizei, damit die sie noch heute aus der Garage schafft!«
    »Bin ja schon weg«, sagte er und wischte, ohne dass sie es bemerkte, im Hinausgehen den mit dem Baum-Zitat bedruckten kleinen Karton aus dem Regal, der daraufhin wie ein im Flug abgeschossener Vogel trudelnd zu Boden fiel.
    Er musste das Foto von Martin, das gerahmt auf ihrem Schreibtisch stand, gesehen haben. Denn als sie wieder in der Küche standen, sagte er: »Der Typ auf dem Foto da im Arbeitszimmer? Ist das Ihr Mann?«
    »Und wenn schon«, erwiderte Brigitte schroff. Sie überlegte fieberhaft, wie sie ihren aufdringlichen Gast möglichst schnell wieder loswerden konnte. Sie dachte: Was habe ich dumme Kuh mir bloß dabei gedacht, so einen überhaupt in mein Haus zu holen? Doch in ihre Überlegungen hinein sagte der Mann: »Wasmacht Ihr Mann denn so?«, und nahm wieder am Tisch Platz. »Beruflich, meine ich.«
    »Journalist«, antwortete Brigitte rasch, aber widerwillig, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.
    »Aha, na toll«, sagte er abfällig und wischte mit großer Geste die Brosamen, die neben seinem Teller lagen, vom Tisch. »Bestimmt einer von diesen Sensationstypen,

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