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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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Wände einer Gefängniszelle kleben zu müssen. So eine lange Scheißreise konnte einer alleine gar nicht unternommen haben.
    Noch zwei Tage vorher war er ein Niemand gewesen, den man eingesperrt, bespuckt, beschimpft, geschlagen und verachtet hatte. Und jetzt rissen sich wildfremde Menschen darum, ihn anzuschauen, mit ihm reden und ihn fotografieren zu dürfen. Waren freundlich, gaben ihm Feuer, wenn er seine Zigaretten hervorholte, zeigten Respekt. Warum erst jetzt?
    Eins war mal klar: Lebend würden die ihn nicht kriegen. Dieser Weg führte in die Freiheit oder ins Grab. Lieber tot als wie ohne Geld! Was hatte er denn zu verlieren? Nichts!
    Nichts sprach aus Rösners Sicht dagegen, endlich mit einem Satz auf die sonnige Seite des Lebens überzuwechseln: schwerbewaffnet und mit 27 Geiseln als One-Way-Ticket dorthin.
    Er sah auf die Uhr. Von der Polizei war noch immer niemand in Sicht. Stattdessen versammelte sich ein Pulk von Journalisten vor dem Bus.
    Rösner drehte sich um und sah, dass Degowski, der nur noch Augen für den blonden Engel hatte, einer Geisel eine Zigarette anbot und grinste.
    »Ihr könnt mich ruhig fotografieren«, sagte er zu Ahrens und den anderen mit ihren Kameras, »auch ohne Maske, die wissen sowieso meinen Namen. Hab kein’ Schimmer, woher eigentlich.«
    Nur Marion ließ sich nicht fotografieren. »Die kennen mich nicht, kein Foto, klar!«
    Rösner spürte die Müdigkeit und das Stechen im rechten Bein. Vielleicht sollte er noch eine Vesparax einwerfen? Er verlagerte kurz das Gewicht auf die andere Seite, dann sprang er mit einem Satz aus dem Bus.
    Von links, das sah er im Augenwinkel, ohne die langsam vor ihm zurückweichenden Fotografen aus dem Blickfeld zu verlieren, unter denen sich ein Polizist mit einer Waffe befinden konnte, näherte sich ein mit einem hellroten T-Shirt bekleideter Junge auf einem Fahrrad. »Was ist denn hier los?«, rief der Junge neugierig, als er einen Meter vor ihm anhielt.
    »Das ist los«, antwortete Rösner und richtete den Colt auf den Jungen. Der zog sein Rad reflexartig einen Meter zurück, machte aber keine Anstalten, zu verschwinden, sondern guckte interessiert auf die reglos hinter den Busscheiben sitzenden Männer und Frauen.
    »Hau ab, Mann!«, rief Rösner und fuchtelte mit dem Colt herum. Der Junge wandte sich ihm wieder zu, legte blinzelnd den Kopf mit den dunklen Stoppelhaaren schräg und sagte: »Die ist doch gar nicht echt, stimmt’s?«
    »Du sollst abhauen!«, rief Rösner nun lauter und machte mit der vorgehaltenen Waffe eine Art Ausfallschritt auf den Jungen zu, um ihn zu erschrecken. Doch auch das schien den nicht zu beeindrucken.
    »Schieß doch, Angeber!«, sagte er grinsend, zog in aller Seelenruhe sein Rad herum und fuhr, untermalt vom Zischelnund Klicken der auf Dauerfeuer gestellten Kameramotoren, in Schlangenlinien davon.

    Knapp einhundert Meter davon entfernt brachte Chris Mahler ihr Taxi zum Stehen. Ihr Fahrgast rutschte auf seinem Sitz nach vorn. »Da! Da vorn, das ist der Bus!«
    Er deutete an ihr vorbei auf den Bus. »Nummer 53! Was kostet es, wenn ich Sie für den Rest des Abends chartere?«
    »Keine Chance«, antwortet Chris.
    »Wären fünfhundert in Ordnung?« Chris sagte nichts.
    »Sechshundert!«
    Um sechshundert Mark im Portemonnaie zu haben, musste sie drei oder vier Tage fahren.
    »Siebenhundert! Mein letztes Angebot. Also, was ist?«
    Chris drehte sich zu ihrem Fahrgast um. »Wilde Verfolgungsjagden können Sie vergessen, so was mach ich nicht. Nur dass das klar ist!«

11
    dpa – Basisdienst, Hamburg
    (Gladbeck) – Fluchtziel noch unbekannt
    In Telefongesprächen mit mehreren Presseorganen sowie der Polizei hatten die beiden Gangster mehrfach damit gedroht, ihre Geiseln »anzuschießen«, wenn die Polizei nicht auf ihre Forderungen einginge. So verlangten sie neben 300

000 Mark in bar auch noch den Schlüssel für den Tresor, in dem sie weitere 120 000 Mark fanden, sowie den Schlüssel für den Nachttresor, den sie ebenfalls leerten. Wie viel Geld ihnen dort in die Hände fiel, war am Abend noch unklar.
    Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, hatten sie insgesamt neun Schüsse – vermutlich aus einer Maschinenpistole – abgegeben, die jedoch niemanden verletzten.

Trotz des Durcheinanders, in das er geraten und dessen Ausgang völlig offen war, ging ihm diese Chris nicht aus dem Sinn. Der Gedanke an sie flatterte in seinem Kopf herum wie ein Vogel, der das Fenster nicht findet, durch das er ins Haus

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