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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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Anschlag ihrer Brüder auf sein Moped erzählen? Stattdessen sagte er: »Weshalb bist du gekommen, Rachael?«
    ***
    In einem Buch hatte er gelesen, jeder Mensch trage eine eigene, unverwechselbare Melodie in sich, die sich, den Stimmungen entsprechend, mal lauter, mal leiser vernehmen lasse und einen im Bestfall wie ein Kompass durchs Leben führe und begleite. Doch im Moment konnte Rolf Kirchner seine Melodie nicht hören. Als hätte jemand sie mit einem schweren, sämtliche Geräusche erstickenden Tuch zum Verstummen gebracht. Er rieb sich die Augen, hinter denen sich ein leichter Druck zu einem Kopfschmerz zu verdichten begann.
    Sie lagen seit etwa einer Viertelstunde nebeneinander im Bett, und Kirchner starrte in die Schwärze des Zimmers. Plötzlich spürte er, wie Barbara ihre Hand auf seinen von einem hauchdünnen Schweißfilm überzogenen Oberschenkel legte.
    »Vielleicht solltest du einfach noch mal kalt duschen«, sagte sie. »Oder was lesen, damit du auf andere Gedanken kommst.«
    »Mir geht’s gut«, widersprach er trotzig. Und um ihr zu beweisen, dass kein Grund zur Sorge bestand, legte er seine Hand auf ihre. »Nein, wirklich.« Dabei sah er sich im Geiste seit Minuten, wie auf einer sich immerzu sinnlos wiederholenden Filmsequenz, vor dem Bankgebäude in Gladbeck stehen. Bis unterden Scheitel voll mit Adrenalin, zugriffbereit, ein Mann auf Höhe der Situation. Und wie man ihn Stunden später unverrichteter Dinge wegschickte.
    Vielleicht sollte er einen Schluck kalte Milch trinken, um das leichte Sodbrennen zu bekämpfen, das ihn quälte. Er brachte die Energie nicht auf, sich zu erheben. Stattdessen starrte er weiter in die Schwärze, als laufe dort ein Video. Inzwischen hatte sich der Druck hinter den Augen in einen handfesten Schmerz verwandelt.
    »Ich brauche eine Aspirin«, sagte er und tappte im Dunkeln ins Bad. Dort knipste er die Beleuchtung des Alibertschranks an und nahm die grünweiße Schachtel heraus. Ungeschickt presste er ein Dragee aus dem Blister. Er hielt die erbsengroße Tablette in der zur Kuhle geformten Hand und blickte in den Spiegel. Was er sah, machte ihn wütend: Ein Mann mit gerötetem Gesicht, verschwitzten Haaren und flackerndem Blick starrte ihn an.
    Kirchner ließ die Tablette ins Waschbecken fallen, wo sie klimpernd im Abfluss verschwand, lief zurück ins Schlafzimmer und griff entschlossen nach seinen auf dem Sessel liegenden Kleidern. An Barbara vorbei, die eingeschlafen war und ruhig und gleichmäßig atmete, schlich er in den Flur, stieg in seine Schuhe, nahm den Autoschlüssel von der Kommode und zog die Wohnungstür hinter sich zu.
    Schon im Aufzug, der sekundenlang scheinbar ungebremst in die Tiefe fiel, steigerte sich seine Entschlossenheit in regelrechte Gier. Er würde die Tür des Besprechungsraums in der Polizeiwache aufstoßen und eine Strategie für ein Rückkehrszenario der Geiselgangster entwerfen. Sie würden zurückkommen, dessen war er sich sicher. Weshalb? Weil seine Intuition ihm das sagte. Seine Erfahrung. Sein Urin.
    Kirchner drehte die Scheiben herunter, ließ den Motor seines Diplomat V8 an und steuerte das ausladende Gefährt aus der Tiefgarage. Nach nicht einmal zehn Minuten traf er in derMarkgrafenstraße ein. Er stellte den Wagen im Innenhof der Polizeiwache ab, strich über die warme Kühlerhaube wie über die Flanke eines Hengstes, der ihn sicher über gähnende Abgründe hinweggetragen hatte.
    Im Besprechungsraum im 4. Stock schaltete er die Deckenstrahler an, warf achtlos die Autoschlüssel auf den Tisch und trat vor den mitten im Raum stehenden Flipchart-Ständer.
    Er atmete zweimal tief durch, dann griff er sich den schwarzen und den roten Marker und begann damit wechselweise wie im Rausch Pfeile und Kreise, die Angriffs- und Einkreisbewegungen seiner Beamten sowie Karos, die betreffenden Fahrzeuge und Gebäude, aufs Papier zu werfen, bis der erste Papierbogen innerhalb weniger Minuten vollends mit spinnennetzartigen Zeichnungen bedeckt war, in deren Mitte sich immer die wichtigsten Personen befanden: Rösner und Degowski.
    Kirchner riss den Bogen ab, ließ ihn achtlos zu Boden gleiten und begann das nächste Blatt mit seinen Symbolen zu füllen. Und dann das nächste.
    Später wird sich der Dienststellenleiter Jens Kordon, der gegen halb drei auf seiner Heimfahrt von einer Geburtstagsfeier an der Polizeiwache Mitte in der Markgrafenstraße vorbeifuhr, daran erinnern, in jener Nacht Licht im Besprechungsraum im 4. Stockwerke des

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