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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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gekommen war.
    Er suchte den Blick des bärtigen Gangsters, der ihn bislang kaum beachtet hatte, doch der schien im Moment nur Augen für die Journalisten zu haben, die sich um ihn scharten wie Fliegen um einen Haufen Scheiße.
    Der Brief an Martha kam ihm in den Sinn. Ob sie ihn inzwischen gelesen hatte? Kein ganzer Mann. So hatte sie das gesagt: Du bist kein ganzer Mann, Adam. Und darum verlasse ich dich.
    Er beugte sich übers Lenkrad und schrieb in Gedanken einen Brief an die Taxifahrerin:

    Ich sitze im Gangsterbus und muss an Sie denken.
    Es ist schlimm, was hier geschieht. Ich kann jetzt nicht mit Ihnen sprechen, darum schreibe ich Ihnen. Sprechen wäre viel schöner. Ich habe Angst. Nicht sehr viel. Aber ein bisschen schon.
    Meine Mutter würde sagen: »Sei stark, Adam! Vertrau auf den Herrgott!«
    Ich weiß nicht, wo Sie gerade sind und was Sie gerade tun. Aber ich hoffe, Sie sind weit weg.

    »He, du!« Rösner stieß ihm unsanft den Lauf seines Colts gegen die Schulter.
    Einmal, vor Jahren, war ihm ein alter, offenbar orientierungsloser Mann vor den Bus gelaufen, den er beinahe überfahren hätte. Adam hatte im letzten Moment scharf bremsen und denvollbeladenen Bus einen halben Meter von ihm entfernt glücklich zum Stehen bringen können. Daraufhin hatte der Alte ihn durch die regennasse Scheibe angesehen, als fixiere er ihn durch die dünne Eisschicht eines zugefrorenen Sees, auf dessen Grund er lag.
    Da hatte Adam ein paarmal kurz hintereinander, so fest er konnte, auf die Hupe geschlagen, um den Alten aus seiner Paralyse zu reißen. Doch der hatte weiterhin keine Miene verzogen, sondern sich nur irgendwann ganz langsam in Bewegung gesetzt und war, schlurfend und ohne sich noch einmal umzudrehen, auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwischen zwei Bäumen verschwunden.
    Ein anderes Mal war ihm ein Hund vor den Bus gelaufen, ein Schäferhund, der, wie aus dem Nichts kommend, plötzlich wenige Meter von ihm aufgetaucht war. Das Tier war mit einem kurzen, trockenen Schlag gegen die Front gekracht. Dann hatte der Bus es auch schon überrollt, und Sekunden später war es im Außenspiegel wieder aufgetaucht.
    Adam hatte den Omnibus irgendwann zum Stehen gebracht und war sofort ausgestiegen und zurück zu dem verletzten Tier geeilt. Die unnatürlich weggestreckten Beine des Hundes zuckten und vibrierten, als wiederhole sich in ihnen in Sekundenabständen noch einmal der Moment der Kollision, der Aufprall, der Sturz heraus aus dem Leben.
    Beim Anblick des zerfetzten Körpers hatte Adam sich seitlich in den Rinnstein erbrochen und anschließend per Funk um Ablösung gebeten. Und nun lag das Leben von 27 Menschen mit in seinen Händen. Daran musste er plötzlich denken, wie er so in die dunkle Mündung des auf ihn gerichteten Colts sah. Und an die betretenen Gesichter der Kollegen, als auf einmal die Frage im Raum stand, wer sich anstelle von Jens Kaspers, der zu seiner Frau wollte, ans Steuer des gekaperten Busses setzen sollte.
    »Wie heißt ’n du?«
    »Adam. Adam Jalowy.«
    »Bist ’n Polacke, wie?«
    »Ja, und?«
    »Ich mein ja bloß«, sagte Rösner.
    »Und was passiert jetzt?«, sagte Adam und blickte auf die Tätowierungen, die einmal bunt gewesen sein mussten und sich nun wie alte, verwitterte Plakate an einer Litfaßsäule um die blassen Arme des Mannes schlängelten.
    »Jetzt sind die Bullen anne Reihe«, sagte Rösner und sah rüber auf die andere Straßenseite, wo er die Polizei vermutete. »Und wenn die nicht bald hinne machen, sind die da alle tot.« Dabei wies er mit dem Colt rüber zu den Geiseln.
    ***
    Er beobachtete die beiden Kollegen, die nach ihm in den Bus gekommen waren und nun ihre Bilder machten, zwischen den stumm blickenden Fahrgästen hin und her gingen, an ihren Objektiven drehten, entschuldigend lächelten und abdrückten.
    Peter Ahrens spürte ihre Erregung, glaubte ihre unterdrückten Jubelschreie zu hören. Eine große Befriedigung durchrieselte ihn, ein Gefühl, wie es Kunstdiebe beschleichen muss, wenn sie, nachdem sie erfolgreich Museumsmauern überwunden, Sicherheitstüren geöffnet und Lichtschranken außer Kraft gesetzt hatten, glücklich vor den Objekten ihrer Begierde standen.
    Alles um ihn herum schien sich zu verlangsamen, ineinanderzufließen wie die Wasserfarben auf den Zeichenblättern seiner Tochter Jasmin, die sie tags zuvor zum Trocknen hinaus auf die sonnige Terrasse getragen und dabei unbemerkt so schräg gehalten hatte, dass sich die Linien auf dem Papier

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