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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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abgespannten Gesichts. Und die schnellen, fragenden Blicke, die er nun immer häufiger mit seinem Komplizen wechselte, verrieten seine Unsicherheit.
    Peter Ahrens, der dem Bus folgte, setzte den Blinker und zog den Wagen auf die äußere rechte Spur. Er dachte: Was Jasmin wohl denken wird, wenn sie später einmal die Fernsehbilder sieht?, und starrte in die Nacht, wo das von Scheinwerferlicht angestrahlte Raststättengebäude 100 Meter vor ihm leuchtete und flirrte wie ein zwischen den Bäumen gelandetes UFO.
    Bislang glaubte sie, ihr Vater fotografiere Sonnenuntergänge, schöne Häuser, Hunde und Wattlandschaften. Er dachte an die gewaltige Kugel, die sie mit ihrem Körper aus Anettes Bauch geformt hatte, kurz vor ihrer Geburt, und wie er glücklich seine Hände auf die riesige, nackte Wölbung gelegt und leise zu ihr hineingesprochen hatte. »Bald lernen wir uns kennen, meine Kleine«, hatte er gesagt. »Bald bist du da. Ich freue mich auf dich.«
    Was würde Anette sagen, wenn sie den Fernseher einschaltete und ihn so sah? Im Gespräch mit einem schwerbewaffneten Gangster. Ihn, ihren Mann. Er stellte sich ihre eben noch entspannten, jäh in eine Maske überwechselnden Gesichtszüge vor. Und wie sich die Pupillen ihrer schönen grünbraunen Augen schreckhaft verengten. Zweifellos machte sie sich große Sorgen um ihn.
    Sie liebte ihn, natürlich, und war eine wundervolle Partnerin. Ob sie aber verstand, was er fühlte und was in ihm vorging, wenn er mit seiner Kamera unterwegs war, das bezweifelte erinzwischen. Denn als er ihr damals stolz seine Bilder von der Startbahn West in Frankfurt zeigte, da sah sie ihn irritiert an und sagte: »Was, bitte schön, ist toll daran, wenn man zeigt, wie Polizisten auf wehrlose Demonstranten einknüppeln?«
    »Das verstehst du nicht«, hatte er ihr geantwortet und die Kontaktabzüge zur Seite gelegt, weil ihn ihre Reaktion ärgerte, hinterher aber betrübt gedacht: Sie versteht es anscheinend wirklich nicht.
    Er hatte gehandelt und abgedrückt, damals auf der Startbahn, und auch jetzt. Ohne zu überlegen. Dann entstanden die besten Bilder. Davon war er überzeugt.
    Jetzt nicht denken, sagte er sich, als Rösner ihn, vor dem Bus stehend, zu sich winkte. Dann war alles ganz schnell gegangen. Da war keine Zeit zum Überlegen gewesen. Er spürte, dass er nicht nachdenken, sich nicht vorstellen durfte, wohin das alles unter Umständen führen konnte. Er erledigte seinen Job. Sie brauchten einen Vermittler, und er hatte es gemacht.
    »Hört auf mit dem Scheiß! Nehmt mich als Geisel, und wir fahren mit meinem Wagen«, bot er Rösner an. Er wollte unter allen Umständen verhindern, dass der Bus mit den Geiseln davonfuhr. Rösner ging auf seinen Vorschlag nicht ein. Und auch das von ihm initiierte Gespräch mit der Polizei kam nicht zustande. Weder über Walkie-Talkie noch über sein Autotelefon, weil sie Rösner die falsche Nummer gegeben hatten.
    »Warum geht denn keiner ran?«, schrie Ahrens verzweifelt, »das gibt’s doch nicht! Warum geht denn keiner ran?« Wütend ballte er die Hände zu Fäusten. Immerhin hatte er seine Bilder. Damit würde er ein kleines Vermögen machen. Und Fotogeschichte schreiben. Dessen war sich Peter Ahrens in diesen Minuten ganz sicher. Er spürte, wie seine Hände schwitzten.
    »Dann machen wir eben ’ne kleine Rundfahrt«, sagte Rösner halb scherzhaft, als Ahrens ihm die Antwort der Polizei überbrachte, keinen neuen Wagen und auch keine gefesselte Polizeigeiselim Austausch gegen die 27 Leute im Bus zur Verfügung zu stellen.
    »Mit allen Geiseln?«, hatte Ahrens ungläubig gefragt. Da hatte Rösner die Pistole hochgenommen und gesagt: »Klar, wenn die Bullen zu feige sind.« Und dann hatten sich die Bustüren geschlossen, und sie waren losgefahren. Rösner bot ihm an, im Bus mitzufahren. Doch Ahrens hatte abgelehnt.
    Er lenkte den Wagen in eine Haltebucht, schaltete den Motor aus und löschte das Scheinwerferlicht. Noch immer hallte die Wut in ihm nach, die Wut auf die Polizisten, diese Versager. Und die Wut auf sich selbst, weil er in Huckelriede nicht mehr hatte ausrichten könnten. Als der Bus anfuhr, riss er die Kamera hoch und fotografierte den hinter der Scheibe grinsenden Degowski, der ihm Silke Bischoff wie eine Trophäe stolz präsentierte.
    Ahrens dachte kurz daran, Anette anzurufen, entschied sich aber dagegen, nahm seine Kameras, stieg aus dem Wagen und lief hinüber zu dem Bus, der auf Höhe eines Kiosks stand. Degowski hatte sich mit

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