Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
Vom Netzwerk:
Nacht und verfolgte auf Höhe der Kinzigbrücke ein paar Sekunden lang einen Frachter, der stromabwärts fuhr. Erst als sie aus dem Wagen stiegen und über den Parkplatz zur erleuchteten Pforte des Vinzenz-Krankenhauses liefen, in das man Gustav Steiner gebracht hatte, schienen sie ihre Sprache wiedergefunden zu haben, und Marc sagte: »Meinst du, es ist schlimm?«
    »Ich weiß es nicht«, gab der Vater ihm beinahe tonlos zur Antwort, nannte dem Pförtner den Namen seines Vaters und wurde in den 4. Stock, in die Neurologie, geschickt.
    Oben angekommen, sprach der Vater eine Schwester an, die in der hellerleuchteten Stationsküche aus einer Fülle von Packungen Tabletten auf unterschiedliche Sachets verteilte. »Guten Abend, in welchem Zimmer liegt Gustav Steiner?«
    »Zimmer 402«, antwortete die Frau, lächelte kurz und wandte sich wieder ihren Tabletten zu.
    Valentin Steiner klopfte kurz an und öffnete die Tür des Zimmers 402. Sein Vater, vom blassgelben Licht einer winzigen Wandlampe beleuchtet, sah aus wie ein aufgebahrter Leichnam in seinem Totenbett. Erst als er zögerlich näher herantrat und sah, dass sich der Bauch seines Vaters, der über mehrere Schläuche mit leise surrenden Maschinen und einem Infusionsständer verbunden war, gleichmäßig hob und senkte, drückte Valentin Steiner, nachdem Marc lautlos an ihm vorbei ins Zimmer geschlüpft war, erleichtert die Tür zu.
    »Hallo Großvater«, sagte Marc gedämpft, schob einen Stuhl und nahm neben dem Bett Platz. Als keine Regung auf dem Gesicht des Alten, der die Augen geschlossen hielt, zu erkennen war, sagte er an seinen Vater gerichtet: »Er scheint zu schlafen.«
    »Ich bin gleich wieder da«, erwiderte der, ohne auf Marcs Frage einzugehen, und lief aus dem Zimmer.
    Abgesehen von der seltsamen Erschlaffung seiner linken Gesichtshälfte wirkte der Alte, genau betrachtet, wie immer, wenn er in seinem Zimmer im Stift auf seiner Couch lag, die Augen geschlossen hielt und seine fleischigen, manchmal kurz zuckenden und wie Krallen leicht in sich gebogenen Hände auf seinem Bauch lagen.
    Marc versuchte sich vorzustellen, was der Großvater in diesen Sekunden empfinden mochte. Empfand er überhaupt etwas? Für einen kurzen irrationalen Moment hoffte er, der Großvater würde ihm gleich mit einem verschwörerischen Augenzwinkern, einem kurzen beschwichtigenden Abwinken mit der Hand zu verstehen geben: Alles halb so wild, mein Junge, mach dir keine Sorgen.
    »Doch, ich mache mir Sorgen«, sagte er leise.
    Die Tür öffnete sich, und Valentin Steiner trat ins Zimmer, begleitet von einem jungen Arzt. »Das ist mein Sohn Marc«, sagte er und ließ den Arzt an sich vorbei.
    »Ihr Vater«, sagte der junge Mann und sah dabei Valentin Steiner an, »muss schon eine ganze Weile unbeachtet in seinem Zimmer gelegen haben. Wir müssen davon ausgehen, dass es zu Schädigungen im Gehirn gekommen ist. Bei einem Schlaganfall kommt es darauf an, dass schnell behandelt wird, um größere Schädigungen zu vermeiden. Genaueres werden die Tests zeigen, die wir morgen früh machen.«
    »Was heißt das?«, mischte Marc sich ein.
    »Dass es höchstwahrscheinlich zu Lähmungs- bzw. Ausfallerscheinungen kommt, in welchem Umfang, das lässt sich im Moment noch nicht sagen. Unter Umständen, aber das ist eine sehr vorläufige Einschätzung, ist das Sprachzentrum betroffen. Aber bitte: Nageln Sie mich zum jetzigen Zeitpunkt nicht darauf fest. Wir haben ihn erst mal sediert, damit das Gehirn sich wieder beruhigt, und ihm Sauerstoff und kreislaufstabilisierende Mittel verabreicht. Seine Blutdruck- und Blutzuckerwerte habenwir ebenfalls medikamentös korrigiert. Auf dem CT konnten wir einen verschleppten Embolus lokalisieren, welcher der Auslöser für den Apoplex gewesen sein dürfte. Das weitere Vorgehen hängt nun von den erwähnten Tests ab.«
    »Was ist das, ein Embolus?«, fragte Marc.
    »Ein Blutgerinnsel«, antwortete der Arzt sachlich.
    »Das klingt alles nicht gut«, sagte Valentin Steiner und sah betreten auf seinen weiterhin reglos in seinem Bett liegenden Vater.
    »Nein, leider nicht«, erwiderte der Arzt. »Morgen früh wissen wir mehr. So lange müssen Sie sich leider noch gedulden.« Dann verabschiedete er sich, nickte und verließ das Zimmer.
    Vor dem geöffneten Fenster tanzte im schwachen Schein der Zimmerleuchte eine Armada von Fruchtfliegen auf und ab. Marc starrte wie hypnotisiert in das ruhelose Gewimmel. Ein paarmal hörte er seinen Vater von fern mit

Weitere Kostenlose Bücher