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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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in Angriff genommen hatte. Dann hatte er sich auf das, was er für seine Bestimmung hielt, eingelassen und steckte nun, Jahre später, darin fest wie ein Gummistiefel im Matsch.
    Wenn alles vorbei war, Paul gerettet und sein Liebesleben geklärt wäre, würde er sich an diese Minuten hier im Taxi erinnern und sich sagen, dass dies der Moment gewesen war, in dem der Keim des Gelingens auf fruchtbaren Boden fiel.
    Die in Abständen vorbeiziehenden Laternen der langgestreckten Amsterdamer Straße erzeugten ein milchiges Gewitterlicht, so als müsse jeden Moment ein Platzregen über die Stadt losbrechen. Gleichzeitig zeigten sich am Horizont erste Lichtstreifen. Es dämmerte. Dann bog der Wagen nach links ab, und Bertram spürte, wie sich sein Puls abrupt beschleunigte, als sie vor dem Eingang des Kinderkrankenhauses anhielten.
    Er bezahlte, stieg aus und schlug die Autotür fester als nötig hinter sich zu. Kurz wandte er seinen Blick der schwach beleuchteten Pförtnerkabine zu und atmete auf die gleiche Weiseein paarmal tief ein und wieder aus, wie er das schon als Schüler getan hatte, wenn er an die Tafel gebeten wurde, um eine komplizierte mathematische Gleichung zu lösen, und er keinen blassen Schimmer hatte.
    Was würde ihn da drin erwarten? Wahrscheinlich eine weitere Hiobsbotschaft.
    Er ging den von der Nachtbeleuchtung schwach erhellten Flur hinunter und ließ seinen Blick wieder über die ihm bereits vertrauten, an der Wand hängenden Motive aus der Sendung mit der Maus gleiten. Die Bilder zeigten den blauen Elefanten, den auf einem aufgeworfenen Erdhaufen sitzenden, spitzbübisch dreinschauenden Maulwurf und natürlich die Maus. Vor Aminas Zimmer blieb er stehen, lauschte und drückte vorsichtig die Türklinke herunter.
    Sie lag schlafend auf dem Bett, das eine Bein angewinkelt, das andere der Länge nach ausgestreckt. Den rechten Arm hielt sie hinter dem Kopf verschränkt, der linke hing lässig über den Rand des Bettes. Die kleine, über dem Kopfende des Bettes angebrachte Leselampe erzeugte ein nicht sehr helles Licht. Amina atmete ruhig und gleichmäßig und schien heftig zu träumen. Denn als er näher an ihr Bett trat, sah er, dass ihre Lider leicht flatterten.
    Er küsste sie sanft auf die Stirn, worauf sie sich schwerfällig, jedoch ohne die Augen zu öffnen, mit dem Handrücken über die Stelle strich. Dann glitt ihr Arm wie von unsichtbaren Fäden gezogen in seine Ausgangsposition zurück und verharrte reglos. Er küsste sie noch einmal. Wieder hob sie den Arm, schlug aber nun die Augen auf.
    Zunächst sah sie ihn reglos an. So, wie man ein Bild ansah, starrend, ohne jede Pupillentätigkeit. Oder wie man durch eine Glasscheibe blickt, hinter der etwas Interessantes vor sich geht. Dann machte sie die Augen ganz langsam wieder zu und lächelte. »Thomas! Schön, dass du wieder da bist!«
    Bertram nahm neben ihr auf der Bettkante Platz und griff nach ihrer Hand. Im selben Moment schlug sie die Augen wieder auf, als sei sie erst jetzt vollends erwacht, und schlang ihm beide Arme um den Hals: »Sie haben die Hoffnung, dass er es schaffen kann. Der Leiter des Betreuerteams war da und sagt, dass es gut aussieht. Seine Werte haben sich stabilisiert, und er hatte sogar das erste Mal Stuhlgang. Ist das nicht toll?«
    »Wirklich?«, rief Bertram und stellte sich vor, wie das Leben mit jedem Atemzug, den er tat, in den kleinen Körper seines Sohnes zurückkehrte. »Können wir zu ihm?«
    »Sobald er sich weiter stabilisiert hat. Dann verlegen sie ihn auf die Normalstation, und wir können zu ihm, wann wir wollen«, sagte sie und hielt seinen Arm fest. »Ich habe so auf dich gewartet. Wo warst du die ganze Zeit?«
    »Zu Hause. Ich musste was erledigen.«
    »Du und deine Geheimnisse«, sagte sie und lächelte. Da presste er seinen Mund auf ihr Ohr, legte eine Hand auf ihre Brust und flüsterte: »Wenn ich jetzt dürfte, dann …«
    »… darfst du aber nicht«, unterbrach sie ihn kichernd und zog ihn ganz fest an sich.
    ***
    Ruhelos kämpfte er sich durch ein Dickicht aus wirren, widerstreitenden Traumbildern. Bis er japsend daraus hochschreckte und in die von Barbaras gleichmäßigen Atemzügen erfüllte Schwärze des Zimmers starrte. Missmutig tappte er im Dunkeln ins Bad, spritzte sich, übers Becken gebeugt, kaltes Wasser ins Gesicht, nahm die kleine Lesebrille von der Ablage und ging in die Küche. Mit seinem Kalender, einem Glas eiskalter Coca-Cola und dem Telefon in der Hand setzte er sich auf den

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