Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
Vom Netzwerk:
schickte. Das war schön. Nur: Wofür das alles? Und vor allem: Was gab es darüber hinaus? Was? Einsame Stunden mit Rotwein, Bach, Berlioz oder Wagner und dann und wann einen Joint oder eine Flasche Mumm.
    Ihr Tagesablauf glich dem einer Gefangenen, die, wenn Helga sich meldete oder kurz vorbeikam, das Gefühl hatte, Besuch von einer letztverbliebenen Angehörigen zu erhalten. Dabei brauchte sie bloß zum Telefonhörer zu greifen und die Nummer ihres Bruders in Hanau oder die ihrer Internistin, die sie hin und wieder mit Stimmungsaufhellern versorgte, zu wählen, um ihrer selbstgewählten Isolation zu entfliehen. Doch was konnte sie mit ihrem Bruder schon bereden? Da war nichts mehr außer ein paar alten Erinnerungen an die Menschen, die sie einmal gewesen waren. Und auf ein Gespräch darüber hatte sie weiß Gottkeine Lust. Dann verlor sie sich lieber zum x-ten Mal in Vicki Baums »Menschen im Hotel«. In Fitzgeralds »Großem Gatsby« oder in Greenes »Der stille Amerikaner«.
    Brigitte knipste das Licht an und spähte auf ihre auf dem Boden liegende Armbanduhr. Sie hatte gerade mal zweieinhalb Stunden geschlafen und fühlte ein leichtes Vibrieren in den Schläfen. Woher kam diese innere Unruhe?
    Blöde Frage, Brigitte!, antwortete ihr eine innere Stimme. Daran ist der Einbruch dieses ungewaschenen, verlausten Banausen in deine Welt schuld – was sonst!
    Ach, Unsinn!, schnaubte sie. Das wäre ja noch schöner!
    Sie begann zu schwitzen. Auf der Stirn, im Nacken und am Rücken und unter den Armen. Wahrscheinlich, sagte sie sich, kommt es von Martins Bildern und Briefen, die mich aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Und dem Brief von Marianne. Ja, das musste es sein.
    Natürlich hatte das Ganze mit Martins Tod zu tun. Damals ließ sie sich treiben, willenlos und voller Trauer. Bis sie in einem dieser Anfälle von Verzweiflung, in denen sie sich nur noch betäuben und verkriechen wollte, beschloss, alle Brücken hinter sich abzubrechen.
    Wochen und Monate verstrichen in ereignisloser Gleichförmigkeit. Sie kam den ganzen Tag nicht aus dem Bett, neben dem schon morgens halbvolle Weingläser standen. Bis sie sich selbst nicht mehr ausstehen konnte in ihrem von Selbstmitleid bestimmten Nichtstun und sich sagte: Tu das, was du immer am liebsten getan hast: Schreiben!
    Also fing sie wieder an, langsam und so unsicher wie jemand, der nach dreißig Jahren das erste Mal wieder auf Rollschuhen steht. Sie ließ sich nicht abschrecken. Das Schreiben zwang sie zu Genauigkeit und Konzentration, was ihr guttat. Es folgten Anfälle von Euphorie, und sie trank wieder. Schnell steckte sie in einem gefährlichen Kreislauf, lief wie in einer Drehtür. Bis sie denFremden in ihrer Garage entdeckte und das Schneckenhaus, das sie die ganze Zeit mit sich herumschleppte, Risse bekam.
    Draußen dämmerte es. Es war der frühe Morgen des 18. August, und Brigitte Fischer verspürte Lust auf eine Tasse belebenden grünen Tee.
    Sie hatten dem Kugelhagel der niederländischen Polizei standgehalten! Rösner war siegessicherer und entschlossener denn je. Alle im Wagen waren froh, wieder unterwegs zu sein. Nun fuhren sie in die Freiheit.
    Marion band sich ein Taschentuch um das verletzte Bein. Interessiert sah sie hinaus in die von einem orangefarbenen Glanz überzogene Landschaft. Einmal saß ein großer Raubvogel auf einem Verkehrsschild und breitete wie zum Gruß majestätisch die Schwingen aus.
    Rösner drehte das Radio an, um zu hören, was über sie berichtet wurde. In Rück- und Außenspiegel des BMW leuchtete die hinter ihnen aufgehende Sonne, ein riesiger orangeroter Ball, der wie ein von unsichtbaren Schnüren hochgezogener Vorhang langsam über den Ebenen am tiefblauen Horizont aufging. Die Bühne für den letzten Akt in diesem Drama wurde bereitet.
    Er lenkte den Wagen in Richtung Oberhausen, die Nadel seines inneren Kompasses schlug einfach immer in Richtung Westen aus. Da kam er her, da gehörte er hin. Er war eben ein Kind aus’m Pott. Er hatte sich nie vorstellen können, woanders als da zu leben. Klar, mal mit dem Flieger nach Malle, Party machen im Ballermann und so. Aber für länger? Nee.
    Wie es aussah, hatten sie ihre Verfolger fürs Erste abgeschüttelt. Auch von den Journalistenfahrzeugen war nichts mehr zu sehen.
    Degowski hing wie ein angezählter Boxer auf seinem Sitz und kämpfte blinzelnd dagegen an, einzuschlafen. Sein linker Arm lag auf Silke Bischoffs Schultern. Ines sah stur geradeaus.
    Der Zähler auf dem Tacho

Weitere Kostenlose Bücher