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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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fraß Kilometer um Kilometer. Zuerst mal wollten sie einfach nur weg. Raus aus dem verdammten Scheißholland und wieder rüber auf deutsches Gebiet.
    »Wo willst’n hin?«, hatte Degowski von hinten gerufen, als sie über die Grenze waren. Da überlegte er kurz und antwortete so, als sehe sein geheimer Plan dies so vor: »Nach Köln!«
    Als Junge hatte er mal eine Postkarte aus Köln bekommen. Darauf war der Dom abgebildet. Seitdem verband Rösner eine heimliche Liebe mit der Domstadt. Irgendwann einmal, das schwor er sich damals als 12-Jähriger, mit der Karte in der Hand, würde er den Dom sehen, ganz aus der Nähe. Seine machtvolle Größe fühlen und seine Türme bewundern, die, wenn man nicht genau hinsah, am Himmel zu kratzen schienen. Genau wie die Wolkenkratzer in Amerika.
    Vor ihnen breiteten sich weiter die Ebenen aus, flaches und von in voller Reife stehenden Feldern überzogenes Land, das mal von einem silbrig in der frühen Morgensonne schimmernden Fluss zerschnitten, mal von einem unscharf vorbeiwischenden Ortsflecken unterbrochen wurde.
    Hans-Jürgen Rösner dachte an seine Schwester, die sicher alles am Fernseher mitverfolgte. Nachdenklich blies er den Rauch seiner Zigarette zum spaltbreit geöffneten Fenster hinaus. In immer kürzeren Abständen griff er nach den Koffeintabletten, um wach zu bleiben.
    Im Radio lief »Money, Money, Money« von ABBA, und Rösner suchte Degowskis Blick im Rückspiegel. Damit hatte alles angefangen, auf der Rentforter Straße, und mit ihrem blöden Sturz, dessen Folgen er bei jeder Bewegung jetzt noch spürte. Der Dieter hatte den Colt in die Höhe gerissen und grinsend »Money, Money, Money« gebrüllt.
    Marion stöhnte mit schmerzverzerrtem Gesicht. Bei der nächstbesten Gelegenheit würde er rausfahren und ihr in einer Apotheke was gegen die Schmerzen besorgen. Bis Köln waren eshöchstens noch hundert Kilometer, mit so ’ner Karre ’n Katzensprung. Sie waren ja schon auf der Höhe von Borken. Danach kamen Raesfeld und Hünxe, Gladbeck und Bottrop. Hier kannte er sich aus wie in seiner Westentasche. Aber was erwartete sie in Köln? Polizisten? Scharfschützen? Journalisten? Scheißegal! Die sollen nur kommen!
    Viel lieber dachte er an das viele Geld und was sie alles damit anstellen konnten. In seinen Gedanken sah er sich schon auf Mallorca am Ballermann, der Dieter mit dicker Sonnenbrille und die Marion im Bikini und knusperbraun. Bald, sagte er sich, ist es so weit. Bald. Nur noch Köln, und dann ab durch die Mitte. Mit einem zufriedenen Grinsen erhöhte er die Geschwindigkeit.
    ***
    Auf einmal fiel es ihr wieder ein.
    »Wie konnte ich das nur vergessen?«, dachte sie und blickte nach vorn, wo ein von blinkenden Lichtern umrahmtes, weithin sichtbares Hinweisschild die Verengung von zwei auf einen Fahrstreifen anzeigte. Bremslichter gingen an, der Verkehr geriet ins Stocken.
    Sie fragten sie immer wieder dasselbe, wie es ihr gehe, ob sie verletzt sei und ob sie ärztliche Hilfe brauche. Zuerst der Journalist. Später der Polizist. Und zuletzt der Arzt. Der wollte sie nach kurzer Befragung zur Beobachtung in ein Bremer Krankenhaus bringen, doch sie winkte ab.
    »Ich will telefonieren und dann nach Hause«, sagte sie und dachte: In Oldenburg anrufen, um zu hören, wie es dem Vater geht. Ob Wanda ihn inzwischen ins Krankenhaus gebracht hat?
    Doch wie komme ich bloß an Wandas Nummer?, überlegte sie angestrengt und sah wieder nach draußen, wo rechter Hand die Lichter einer Raststätte auftauchten und vorbeizogen. Sie hatte darauf bestanden, hinten zu sitzen, als der junge Mann, derdie ganze Zeit geduldig gewartet hatte, ihr anbot, sie mit nach Bremen zurückzunehmen. »Nein, nicht vorn!«, hatte sie mit fester Stimme gesagt, die hintere Tür des Wagens aufgerissen und sich auf den Rücksitz fallen lassen.
    Sie hatten ihr psychologische Betreuung angeboten, doch sie hatte bloß noch nach Hause gewollt. Nichts wie weg. Die ganze Fahrt über schwiegen sie. Irgendwann drehte er vorn das Radio an. Erst als sie nach Bremen reinfuhren, sagte der junge Mann: »Alles okay?«
    »Ja, ja«, antwortete Chris und dachte: Lass mich einfach in Ruhe. Chris Mahler war mit ihren Kräften am Ende.
    Ihr fiel der Wagen ein. Der Journalist war einfach damit abgehauen. Sie musste Gabriele anrufen. Nur wie? Ihre Geldbörse mit den Einnahmen und ihre Handtasche mit ihren Hausschlüsseln waren noch im Wagen. Sie hatte ja nicht mal Münzen, um in Oldenburg anzurufen. Es war zum

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