Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
Stromkabel spannten sich von Haus zu Haus und zerschnitten die Lichtkegel der Landestrahler in helle Quadrate. Noch regiertedie Nacht, doch schon bald würde die aufgehende Augustsonne alles Dunkle im Handumdrehen wegwischen.
Adam ahnte, dass trotz allem gar nichts zu Ende war, sondern dass die Bilder in seinem Kopf wiederkommen würden. Wie diese Tropenkrankheit, Malaria, die einen tagsüber in Ruhe ließ, um einen nachts heimtückisch zu überfallen.
Ohne auf die Rufe der Betreuer zu reagieren, lief er hinüber zum Taxistand, stieg in einen der bereitstehenden Wagen und nannte dem Fahrer, der ihn verschlafen ansah, sein Ziel: Sandkamp 12, in Blumenthal.
Adam spürte, wie seine rechte Hand zitterte, und versuchte, das Zittern mit der anderen zu unterdrücken. Außerdem zuckte seit ein paar Minuten sein linkes Augenlid. Seinem Gefühl nach fuhren sie viel zu schnell.
»Entschuldigen, Sie«, sagte er, »aber könnten Sie vielleicht langsamer fahren? Das wäre sehr freundlich von Ihnen.« Im Rückspiegel sah er den finsteren Blick des Fahrers.
»Fahren Sie oder ich?«, antwortete der schroff.
»Schon gut, ich meine ja nur«, erwiderte Adam und spürte, wie das Zittern in seiner Hand stärker wurde.
»So, Sie meinen bloß«, giftete der Fahrer. »Ich mache meinen Job seit über dreißig Jahren.« Mit Tempo 75 passierten sie im selben Moment eine von Gelb auf Rot umschaltende Ampel. Adam starrte über die rechte Schulter des Fahrers ungläubig auf den Tachometer.
»Sind Sie verrückt geworden?«, rief er nun und überlegte fieberhaft, wie er den Fahrer dazu bringen konnte, das Tempo zu drosseln. »Sie werden uns umbringen.«
»Hast wohl Angst, wie?«, duzte der ihn plötzlich einfach und lachte schallend, ohne das Tempo zu verringern.
»Anhalten, sofort«, schrie Adam und schlug mit voller Kraft gegen die Kopfstütze des Fahrers. Darauf zog dieser den Wagen mit einem gewagten Rechtsruck an die Bordsteinkante, tratjäh auf die Bremse, so dass der Wagen nach wenigen Metern zum Stehen kam, und brüllte: »Raus aus meinem Wagen! Aber schnell!«
Adam stieß die Tür auf, sprang hinaus und hieb, so fest er konnte, auf das Dach des anfahrenden Wagens. »Arschloch!«, hörte er den Fahrer rufen.
Wütend starrte Adam auf seine zitternde schmerzende Hand. Er war den Tränen nahe. Bis eben war es ihm gelungen, dieses Gefühl erfolgreich beiseitezuschieben, es hinter einer schweren Tür in seinem Innern zu verbergen. Nun öffnete sich diese Tür, ohne dass er etwas dagegen tun konnte.
Er tat einen Schritt rückwärts, stützte sich mit der Hand an einer Hauswand ab, schluckte ein paarmal und wischte sich die Tränen aus den Augen.
Als er die Tür zu seiner kleinen Blumenthaler Wohnung aufschloss, lief er schnurstracks ins Bad, wo er sich die stinkenden Kleider vom Leib riss und sich unter die Dusche stellte. Nun sah er die Risswunde an der Schulter, wahrscheinlich hatte ihn ein umherfliegendes Geschoss gestreift. Er würde die Stelle desinfizieren und ein Pflaster draufkleben. Und mit Blick auf seine Kleider dachte er:
Verbrennen werde ich die Sachen. Gleich morgen unten im Hof.
Er duschte so lange, bis nur noch lauwarmes Wasser kam und er ein Rufen aus der Nachbarwohnung zu hören glaubte. Erst als er den Wasserhahn zudrehte, registrierte er die Spuren seiner Fingernägel an seinem Oberarm und auf der Brust, rote, rissige Striemen, die, sobald die Kühlung nachließ, sofort anfingen zu brennen.
Nachdem er sich ausgiebig abgetrocknet, die Wunde versorgt und die Zähne geputzt und sich etwas übergezogen hatte, stopfte er seine verschmutzten Kleider in eine Plastiktüte, die er mit einem Strick zuband, und trug sie hinaus auf den Balkon. Anschließendgriff er zum Telefonhörer und wählte Karolys Berliner Nummer.
»Ich habe das Schlimmste befürchtet, in meiner Phantasie warst du tot«, sagte Karoly.
»Ich bin nicht tot, ich lebe!«, sagte Adam. Er spürte, dass das Reden über seine Kräfte ging. Er versuchte, das Gespräch zu beenden, versprach, in Kürze wieder anzurufen, wurde aber von seinem Bruder gezwungen, zu erzählen, was genau passiert war. Da versagte ihm die Stimme, der Hörer glitt ihm aus der schweißnassen Hand und baumelte an der Leitung über dem Fußboden. Als er ihn wieder aufhob, war die Verbindung unterbrochen.
***
»Chrisi? Bist du das?«, rief Ulrike in die hallende Tiefe des wegen der seit Tagen defekten Deckenbeleuchtung dunklen Treppenhauses und zog flüchtig ihren luftigen Pyjama um
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