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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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rübergegangen, aber sie haben gesagt, nein, es kommt kein Polizist«
    Reporter: »Wie geht es Ihnen jetzt?«
    Rösner: »Wir drei haben abgeschlossen, und ob ich kaputt bin oder nicht, das ist uninteressant. Ich würde sagen, es geht um die beiden Mädchen. Die sollen nichts unternehmen, sonst sind die tot.«
    Reporter an Dieter Degowski: »Gibt es zusätzliche Geldforderungen?«
    Degowski: »Nein! Das wollen wir aus dem ganz einfachen Grund nicht haben, sonst werden die noch bestusster. Dann werden die immer heißer hinter uns. Obwohl ich schon einen umgelegt hab.«
    Reporter an Marion L.: »Wie fühlen Sie sich?«
    Marion L.: »Bis auf mein Bein, gut.«
    Reporter: »Ist die Kugel draußen?«
    Marion L.: »Draußen.«
    Reporter: »Sie rechnen sich aber auch noch Chancen aus?«
    Marion L. (zuckt mit den Schultern): »Man muss es abwarten.«
    Reporter an Silke Bischoff: »Wie geht’s Ihnen?«
    Bischoff (mit Degowskis Colt am Hals): »Im Moment gut.«
    Reporter an Rösner: »Können wir irgendetwas für Sie tun?«
    Rösner: »Ja, ich möchte, dass die Polizei informiert wird, weil ich hab auch keine Lust mehr, mich mit denen am Telefon auseinanderzusetzen, die wollen einen nur hinhalten … ich möchte auf keinen Fall, dass die was versuchen, das hab ich nämlich im Radio gehört, in Recklinghausen sind se am Beratschlagen, wie se uns fertigmachen, ne? Und dann sind die Mädchen tot, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und dann sind wir auch tot. Die Marion hat gesagt, ich soll se dann erschießen, und ich steck mir det Ding in den Mund.«
    Er hob den Colt an und schob sich dessen Lauf in den Mund. Dann grinste er in die auf ihn gerichteten Kameras und die aufzuckenden Blitzlichter, präsentierte ihnen das stolze Lächeln eines großen Jungen auf seiner eigenen Geburtstagsfeier. Er war in so einer komischen Hochstimmung wie nach ’nem Trip, müde und berauscht, und konnte sehen, wie happy alle waren, wie abnormal scheißhappy, ihn leibhaftig vor sich zu haben. Sie widerten ihn an. Ihre hündischen Blicke, ihr Gesabber. Die konnten ihr Glück kaum fassen, diese Aasgeier.
    Immer wieder sah er hinauf zu den Dächern, so gut es von seiner Position aus eben ging, über die Köpfe der Journalisten hinweg, um nach Scharfschützen Ausschau zu halten. Er konnte sie nicht sehen, doch er spürte, dass sie da waren.
    »Lebend kriegen die mich nicht«, hörte er hinten den Dieter zu den Journalisten sagen, die auch ihm ihre Mikrophone hingestreckt hatten.
    Ein Reporter: »Mit dem Leben haben Sie abgeschlossen?«
    Degowski (nickend): »Total abgeschlossen. Anders geht’s nicht, und auf die Kiste hab ich kein Bock drauf.«
    Plötzlich schob ein Typ in einer Jeansjacke seinen Arm durchs Fenster, legte ihn um seine Schulter und sagte: »Jetzt seid ihr die Größten, stimmt’s? Ihr habt’s allen gezeigt!«
    Sekundenlang dachte Rösner, der Typ werde zudrücken, ihn in den Schwitzkasten nehmen. Oder versuchen, ihn irgendwie durchs Fenster rauszuziehen. Doch nach einem Blick nach hinten ließ der ihn plötzlich wieder los und verschwand.
    »Arsch« fauchte er, packte den zerdrückten Eisbecher, der voller Kippen auf dem Belüftungsschlitz an der Frontscheibe lag, und schleuderte ihn aus dem Fenster. Ihm wurde das plötzlich alles zu viel. Die vielen Gesichter, das ganze Gerede, der ganze Rummel, einfach alles.
    Sie hatten sich Eis und Kaffee bringen lassen, sich bedienen lassen wie Könige. »Wollt ihr auch Eis?«, hatte er nach hinten gerufen, und einer der Lakaien da draußen antwortete sofort: »Ich hol euch Eis! Was wollt ihr noch? Cola, Bier, Kaffee?«
    Einem Journalisten hing eine weiße Schnur aus dem Ohr. Wahrscheinlich ’n Ohrenstöpsel, dachte Rösner. Bei deren Anblick musste er – er hätte nicht sagen können, weshalb ausgerechnet jetzt – an die zahnlose Gela denken. Als Sechzehnjährige hatten sie mitangesehen, wie zwei Männer sie auf den Stufen des Wittringer Ehrendenkmals festgehalten und ausgezogen, betatscht und an der blauen Schnur gezogen hatten, die zwischenihren Beinen raushing. Als sie im Halbdunkel der Laterne sahen, was es war, schleuderte ihr einer der beiden den blutgetränkten Tampon ins Gesicht und drückte ihr zur Strafe seine Kippe auf ihrem Bauch aus.
    Gelas Schreie waren so laut gewesen, dass in den umliegenden Häusern die Lichter angegangen waren. Da machten sie, dass sie wegkamen.
    Er konnte hören, wie der Dieter hinten seinen Colt pausenlos sicherte, entsicherte. Sicherte,

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