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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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entsicherte. Und dabei dachte er: Wenn dat Ding ma bloß nich losgeht. Dann kriegt die Marion noch eins rein. Doch dann war da plötzlich dieser Typ mit Brille und blauem Sakko, der seinen Kopf zum Fenster hereinstreckte und sagte: »Wenn ihr wollt, bring ich euch hier raus.«

19
    BILD
    ZDF klaute ARD das Gangster-Interview!
    Mittwoch, 21.45: Ulrich Kienzle, Chefredakteur von Radio Bremen, schaut sich das »heute journal« an. Das ZDF zeigt Szenen eines Interviews, das er kennt. Es ist das Gespräch mit Geisel-Gangster Hans-Jürgen Rösner, das ARD-Reporter Günter Ollendorf erst vor zwei Stunden für die »Tagesthemen« geführt hat. Noch ehe die ARD das spektakuläre Interview ausstrahlen konnte, hatte es das ZDF aus einer gemeinsamen Leitung kopiert und als »eigenen Beitrag« dem Zuschauer angekündigt. Kienzle: »Eine doppelte Lüge!«

Er schlug krachend die Heckklappe zu und stieg in den taubengrauen Kadett Caravan, ließ den Motor an und rangierte den Wagen mit Blick in den Rückspiegel vom Hof.
    Er hatte sich etwas Besonderes einfallen lassen, um der Kollegenmeute, auf die er in der Breiten Straße treffen würde, buchstäblich überlegen zu sein: eine Alu-Stufen-Stehleiter! Denn so hatte er einen ungehinderten Blick auf die komplette Szenerie und damit Bilder wie kein anderer, Shots quasi aus der Vogelperspektive. Gott gleich. Als würde der Allmächtige höchstpersönlich da oben auf den Auslöser drücken.
    Bertram hatte auf die Schnelle seine gute Beziehung zum Hausmeister spielen lassen, hatte ihm einen Zehner in die Hand gedrückt und versprochen, das gute Stück bald wieder zurückzubringen.
    Neben ihm saß der neue Praktikant, Tony Bässker, und starrte missmutig nach vorn. Bertram hatte um einen erfahrenen Tonmann gebeten, doch Maibach hatte sofort abgewinkt und mit Blick auf den wortkargen jungen Mann gesagt: »Das ist Ihre Chance, Herr Bässker. Jetzt können Sie zeigen, was in Ihnen steckt. Also ran an den Feind! Herr Bertram wird Sie in die Kunst des Außendrehs einführen!«
    »Bässker?«, hatte Bertram ungläubig ausgerufen und gespürt, wie in seinem Gesicht etwas ins Rutschen gekommen war. »Aber wieso denn?«
    »Warum denn nicht?«, hatte Maibach erwidert. »Nur so lernt Kollege Bässker, aus sich herauszugehen. Denn in Wahrheit besitzt unser junger, etwas scheuer Freund eine ganze Reihe verborgener Talente. Sie werden sehen.«
    Bertram war sprachlos gewesen. Denn tatsächlich repräsentierte Tony Bässker den Prototyp des schwerfälligen Pyknikers: Er war mittelgroß, hatte einen gedrungenen Körperbau mit Neigung zum Fettansatz. Sein Brustkorb war unten breiter als oben, und sein Hals und sein Gesicht teigig und schlaff. Anders ausgedrückt: ein Langweiler in Person – und somit das genaue Gegenteil dessen, was er sich als Partner wünschte. Und nun saß dieses lahmarschige Dickerchen neben ihm. Sylvia hatte ihm einen mitleidigen Blick zugeworfen, als sie die Redaktion verließen. Und bereits der erste, im Wagen stockend in Gang gebrachte Dialog …
    Bertram: »Also, das sind richtig harte Jungs, der Rösner und der Degowski, das weißt du! Oder?«
    Bässker: »Ja, leider. Könnte nicht vielleicht jemand anderes, also, ich meine ja nur …«
    … bescherte ihm die niederschmetternde Gewissheit, dass in dem jungen Mann obendrein ein Waschlappen steckte, dem schon jetzt vor Angst die Knie schlotterten. Bässker hatte ihn aus Augen angesehen, die wirkten wie zwei flackernde 30-Watt-Birnen, die jeden Moment den Geist aufgaben, implodierten.
    Na super, dachte Bertram. Er steuerte den Kadett mit Tempo neunzig über die Aachener Straße in Richtung City. Um diese Tageszeit pumpte die Hauptschlagader im zentralen Nervensystem des Kölner Straßenverkehrs unter Normalbetrieb. Und beflügelt von einer grünen Welle und angetrieben von seiner Wut auf Maibach, schaffte er es vom RTL-Gebäude bis runter ins Zentrum in neun Minuten.
    Bässker, der Bertrams riskante Fahrweise wortlos hinnahm, wirkte nun aber so, als hätte er etwas Schlechtes gegessen. Seine Gesichtsfarbe war von einem zarten Lachsrosa in ein alarmierendes Aschgrau umgeschlagen, und in den Augenbrauen über den Rändern seiner Brille glitzerten winzige Schweißperlen.
    Auf der Inneren Kanalstraße hätte Bertram beinahe einen Mofafahrer,der plötzlich mit seiner offenkundig frisierten Hercules aus dem toten Winkel neben ihm aufgetaucht war, bei einem versehentlichen Linksruck am Steuer von der Platte geputzt. Kurz darauf nahm er

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