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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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vor den Kollegen demütigen, indem er ihn seine Macht spüren ließ und ihn vor sich auf dem Brett hin und her schob wie eine Schachfigur. Das war die Rache für seine kleine parodistische Einlage, deren Zeuge er geworden war. Doch deswegen den Schwanz einziehen, aufgeben? Eine Kapitulation kam nicht in Frage. Nur weil ihm dieser Armleuchter in die Suppe gespuckt hatte? Niemals. Er war schließlich immer noch Rolf Kirchner, Gruppenleiter des Sondereinsatzkommandos Dortmund. Erfahren, geachtet, rundum geschätzt. Ein Frontkämpfer, der nicht aufgab. Ein Wüstenfuchs, der Hitze und Staub kannte. Ein Herrscher der Meere. Käpt’n Ahab.
    Er fühlte sein Herz in beängstigend schweren, heftigen Stößen gegen seinen Brustkorb schlagen und fragte sich, wie langees diese Frequenz durchhalten würde. Wann es erschöpft war, schwächer wurde, stillstand. Er musste sich am Wagen abstützen, um nicht umzukippen.
    »Alles okay, Rolf?«, rief Berischa, der Kirchners Zustand bemerkte.
    »Ja, geht gleich wieder«, antwortete Kirchner mit einem Stöhnen und versuchte genau wie beim letzten Mal ruhig und gleichmäßig zu atmen. »Ist sicher bloß die verdammte Hitze.« Doch sein Herz arbeitete weiter auf Hochtouren, schlug immer schneller, stieß von innen so schmerzhaft gegen die Rippen, dass Kirchner sich krümmte. Sein Mund war wie ausgetrocknet, er schwitzte, kalt und bedrohlich.
    »Scheiße, was ist denn das?«, rief er und fasste sich an die Brust. In den Fingerkuppen spürte er plötzlich das ferne Echo seines Herzens, es schien sich zu verdoppeln, zu verdreifachen, vervierfachen … Er starb, wie er gelebt hatte und so weiter.
    Warum musste er plötzlich diesen Satz denken? Es machte doch gar keinen Sinn, hier in dieser Fußgängerzone zu sterben, jetzt, mit nicht mal 45, zwischen all den Menschen, die wirkten wie Schlachtenbummler nach einem Fußballspiel. Fehlte bloß noch, dass sie Fahnen schwenkten mit den Konterfeis von Rösner und Degowski.
    Unter seinem Brustbein raste sein Herz weiter, trommelte mit immer höherer Frequenz. Ein Gefühl, als flattere ein Schwarm eingesperrter Schmetterlinge aufgeregt darin herum. Doch jeder noch so sanfte Stoß ihrer Flügel gegen die Rippenbögen hatte etwas von einem elektrischen Schlag.
    »Ich kriege keine Luft«, rief er gepresst, »oooaaaahh.« Seine Hand glitt vom Kotflügel des Wagens ab, und Rolf Kirchner hörte von fern seinen Namen. Dann verlor er das Bewusstsein.
    Brigitte Fischer und Helga Abraham überquerten in diesen Minuten die von zahllosen Touristen bevölkerte Domplatte, nahmendie Treppenstufen hinunter zum Rheinufer und steuerten auf das erstbeste Touristencafé zu. Den ganzen Weg dorthin sprachen sie kein Wort.
    Sie setzten sich unter einen der blau-weiß leuchtenden Sonnenschirme, Brigitte steckte sich eine John Players an und legte die verschwitzte Basecap vor sich auf den Tisch. Sie bestellte bei der Bedienung ein Glas Jack Daniels, dazu Wasser, Helga Mineralwasser mit Eis. Die Getränke wurden gebracht. Brigitte nahm einen Schluck und sagte: »Ich frage mich die ganze Zeit, was Martin zu diesem Irrsinn gesagt hätte.«
    In der Fotoweste schwitzte sie wie verrückt. Badete im Schweiß. Ihr von der Kappe platt gedrücktes, ungewaschenes Haar hatte etwas von einer verfilzten alten Perücke. Doch ihre Augen blitzten hell und wachsam aus dem geröteten Gesicht wie die eines Kindes nach einem langen Hitzemarsch.
    »Er hätte geschrieben, wie es war: unwirklich, zynisch und einfach unglaublich.« Helga Abraham drückte das kalte, in der Sommerhitze schwitzende Wasserglas gegen ihre Wange. »Und wahrscheinlich wäre er verrückt geworden vor Wut über das Verhalten seiner Kollegen. Und über die Tatenlosigkeit der Polizei! Wo war die überhaupt?«
    »Mir geht das blonde Mädchen nicht aus dem Kopf«, sagte Brigitte, legte den Kopf in den Nacken und blies Rauch hinauf unter das Stoffdach. »Ihr demütiger Blick, und wie unendlich tapfer sie den ganzen Rummel über sich ergehen lässt. Was für eine Persönlichkeit. Immerzu die Pistole von diesem Kerl am Hals. Nicht zu fassen.«
    »Ich verstehe nicht, weshalb die Polizei so etwas zulässt. Weshalb unternimmt sie nichts?« Helga Abraham schob die Players-Schachtel auf der verschrammten Tischplatte hin und her. »Eine Schande. Eine Schande ist das. Die arme Mutter des Mädchens, die das alles im Fernsehen mitansehen muss. Ich würde glatt den Verstand verlieren. Unfassbar!«
    Rolf Kirchner schlug die Augen auf und blickte

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