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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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in die erschreckten, ungläubigen Gesichter seiner Kollegen.
    »Er kommt zu sich«, hörte er eine Stimme sagen. Und Darko Berischa rief: »Rolf! Gott sei Dank!«
    Sie zogen ihn vorsichtig hoch, stellten ihn auf die Beine wie einen der Pappkameraden, auf die sie beim wöchentlichen Schusstraining im Keller in der Markgrafenstraße ihre 50 Schuss Übungsmunition abfeuerten. Landau klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. »Alter, du hast uns vielleicht ’n Schrecken eingejagt, also ehrlich! Wir dachten, du gibst den Löffel ab, hast ’n Infarkt oder so was, so wie du dir an die Brust gefasst hast.«
    Kirchner zwang sich zu einem gequälten Grinsen, wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn, hob den Kopf und sog die Luft ein wie ein Hund, der wochenlang eingesperrt war und seine Schnauze glücklich halb geöffnet in den Wind hält.
    »Bloß ’n kleiner Blackout, wahrscheinlich weil ich noch nichts gegessen habe. Da macht man schon mal schlapp. Dazu die verdammte Hitze und der ganze Ärger. War wohl alles für den Moment einfach ’n bisschen viel. Alles halb so schlimm! Kein Grund, sich aufzuregen.«
    Die Gesichter der Männer um ihn herum hellten sich auf. Ihn selbst aber regte das Ganze sehr wohl auf. Denn innerhalb von ein paar Tagen war er das zweite Mal nach kurzem, heftigem Herzrasen plötzlich ohnmächtig geworden. Er gab sich Mühe, locker zu wirken. In Wahrheit aber hatte er Angst.
    Nach Brigittes zweitem Jack Daniels und Helgas großem gemischtem Salat bezahlten sie und machten sich auf den Rückweg.
    Brigitte war müde und fühlte sich schmutzig. Außerdem spürte sie die Wirkung des Whiskys. Während der Fahrt sprachen sie kein Wort. Helga konzentrierte sich auf den Verkehr, und Brigitte sah stumm aus dem Fenster. Helga hielt direkt vor ihrem Haus,und als Brigitte Anstalten machte, auszusteigen, fasste sie sie am Arm und sagte: »Wahnsinn, das Ganze? Oder?«
    »Ja, Wahnsinn«, antwortete Brigitte, drückte ihr einen Kuss auf die Wange und stieg aus. Sie drehte sich noch einmal um und winkte dem davonfahrenden Wagen nach. Dann schloss sie die Haustür auf – und schrak zurück.
    ***
    Nach dem Aufwachen ging er in die Diele, schob das Telefonkabel wieder in die Buchse und versuchte, Karoly in Berlin zu erreichen. Nach dem dritten Läuten schaltete sich der Anrufbeantworter ein, und weil er nicht mit einer Maschine reden wollte, legte er gleich wieder auf. Enttäuscht ging er ins Schlafzimmer zurück, legte sich wieder hin und starrte an die Decke.
    Vor die Dachluke hatte er ein gelbes Bettlaken gespannt, um die Hitze abzuwehren. Nun leuchtete das Quadrat wie eine riesige Deckenlampe und tauchte das Zimmer in ein warmes Orange. Im Flur surrte eine riesige schwarze Fliege ruhelos hin und her. In der Küche lagen bereits mehrere ihrer Artgenossen tot auf dem Boden. Der mörderische Sommer machte alle verrückt. Oder er brachte einen um.
    Aus der Wohnung unter ihm erklang wieder laute Musik. Der Student, ein schlaksiger Brillenträger, hörte seit Tagen die LP »Meddle« von Pink Floyd und schwärmte ihm, als sie sich kürzlich zufällig im Treppenhaus über den Weg gelaufen waren, davon vor. Adam mochte die Platte inzwischen selbst, denn es gab darauf ein Stück, auf dem Schlachtgesänge von englischen Fußballfans zu hören waren. Liverpool-Fans, angeblich. Das erinnerte ihn jedes Mal an die Spiele von Zagł ę bie, die er damals mit Karoly gesehen hatte. Bei Wind und Regen hatten sie auf der kleinen, baufälligen Tribüne des Ludowy-Stadions gestanden und die Rot-Grün-Weißen angefeuert.
    Wenn er später an den schrecklichen Sommer von 1988 zurückdenkenwürde, käme ihm neben den Erinnerungen an die Erlebnisse in Huckelriede und Enschede wohl unweigerlich auch »Meddle« und »One of these Days« in den Sinn. Dieser schreckliche schöne Soundtrack seines Scheiterns.
    In einer Winternacht 1985 hatten sie Polen im alten Wagen ihres Vaters verlassen. Erwartungsvoll und abenteuerhungrig. Und nun, nur drei Jahre später, war sein deutsches Abenteuer schon wieder vorbei. War gescheitert.
    Er wollte nur noch weg, wieder nach Hause. Mit oder ohne Karoly. Und es als Mechaniker versuchen. In Srodula. Oder direkt in Katowice. In einem der großen Autohäuser. Denn mit Autos kannte er sich aus.
    Er würde sich anziehen, in die Stadt fahren und seine fristlose Kündigung einreichen. Wahrscheinlich würden sie versuchen, ihn zum Bleiben zu überreden. Doch sein Entschluss stand fest. Denn hier würde er für

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