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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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lebloser Sack. Zusammengestaucht zwischen Beinen, die kaum Licht durchließen, wie im Pflaster verwurzelt schienen. Bertram machte sich los und schnappte nach Luft.
    »Hey, du Arsch, wie heißt ’n du?«, rief einer und versuchte, ihn zu packen. »Sag mir jetzt sofort deinen Namen!« Doch da zog ihn jemand weg, riss an seiner Schulter. Bässker.
    »Ich hab alles drauf!«, rief er aufgeregt. »Alles! Hören Sie!«
    »Ja, ja, das ist gut, sehr gut«, keuchte Bertram erschöpft und sah, wie der gestürzte Mann sich ungelenk aufzurappeln begann. Er sah sein blutverschmiertes Gesicht, sah es heller werden, aufleuchten, sah die Beine, die eben noch wie gebrochen schienen, sich strecken.
    Er blickte Bässker nach, der ängstlich nach außen wegdrängte, und dachte: Wenn nur dieses Licht nicht wäre. Der schöne, leuchtend blaue Himmel, die Häuser funkelnd in der Mittagssonne. Denn dieses schöne Licht beruhigte ihn jetzt nicht, dieses betäubende, irrsinnige Blau beruhigte ihn gerade deshalb nicht, weil es so zerbrechlich schien, weil darunter jeden Moment alles Mögliche geschehen konnte.
    Als er die Frau mit der Basecap erreichte, packte er grob ihren Arm und rief: »Los, kommen Sie! Schnell!«
    »Aber wieso denn, nein, bitte! Lassen Sie mich los … Helga! Helga, komm schnell, Hilfe!«
    Bertram zog die Frau durchs Gewühl mit sich, und mit drei vier Schritten hatten sie sich von der Meute abgesetzt. Nach etwa zwanzig Metern blieb er atemlos stehen, ließ ihre Hand los und sagte: »Sind Sie eine Kollegin von Sirvan?«
    »Sind Sie verrückt geworden? Was wollen Sie von mir?«
    »Ob Sie eine Kollegin von Sirvan sind, will ich wissen«, fragte Bertram. Lauter diesmal. Ungehalten.
    »Eine Kollegin? Von wem? Wovon reden Sie?«, stotterte die Frau und sah ihn irritiert an. Eine Frau in einer weißen Hose und einem ockerfarbenen Blouson kam herbeigelaufen und rief: »Lassen Sie die Frau los! Sofort!«
    »Ich rede von der jungen, leicht dunkelhäutigen Frau, mit der Sie vorhin am Wagen geredet haben? Die Dunkelhaarige, Herrgott! Die in dem hellen Trägerkleid!«, sagte Bertram, ohne auf die andere Frau zu achten.
    »Ich weiß nicht. Sie hat etwas gesagt. Etwas Belangloses. Was fällt Ihnen ein, mich so anzugehen?«
    »Und weiter?«, sagte Bertram ungerührt. Nun stand die Frau in dem ockerfarbenen Blouson neben ihnen und rief: »Was ist denn hier los?«
    »Schon gut, Helga«, sagte die Frau mit der Baseballkappe und wandte sich wieder Bertram zu: »Sind Sie von der Polizei? Hat die Frau etwas mit der Geiselnahme zu tun?«
    »Nein, sie …« Bertram stockte. Ein Mann in einer Jeansjacke löste sich aus der Menge, rief etwas Unverständliches in ein Walkie-Talkie und stürmte in schnellen, raumgreifenden Schritten direkt auf sie zu und im letzten Moment an ihnen vorbei.
    »Was ist denn los? Was ist passiert?«, rief ihm die Frau, die von der anderen Helga genannt wurde, hinterher. Doch der Mann antwortete nicht, blieb stehen, schrie auf und schleuderte das Funkgerät mit voller Wucht auf den Boden.
    Und dann sahen sie es: Die Menschenmenge teilte sich, und der Wagen setzte sich wie ein Luxusliner, der zu seiner Jungfernfahrt vom Stapel gelassen wird, mit majestätischer Langsamkeit, in ein gleißendes Blitzlichtgewitter getaucht, stockend zwar, aber ungehindert in Bewegung.
    ***
    Er drückte die Sprechtaste und rief: »Rückzug!, ich wiederhole: Rückzug!« Dann holte er aus und schleuderte das Walkie-Talkie mit voller Wucht auf den Boden. Und brüllte. Schrie seine ganze Wut und seinen Schmerz heraus wie ein tödlich getroffenes Tier. Trat gegen eine Hauswand. Fuhr sich wieder und wieder mit der Hand durchs schweißnasse Haar. Dann riss er sich den Stöpsel aus dem Ohr und das Mikro vom Jackenaufschlag und feuerte beides hinterher.
    Ein Nicken hätte genügt, und Andresen, der auf dem Kofferraum des BMW saß und nur auf sein Go wartete, hätte Degowski per Kopfschuss ausgeschaltet. Gleichzeitig hätte er Rösner, den er locker im Schwitzkasten hatte, aus dem Fenster ziehen können,und die Sache wäre im Handumdrehen erledigt gewesen. In weniger als einer Minute.
    Fritsche hatte sie im allerletzten Moment zurückgepfiffen. Keine zwei Meter vor Überschreiten der Ziellinie. Doch diesmal war der Mann zu weit gegangen. Diesmal hatte er den Bogen überspannt. Mit seinen Drohungen und seiner Arroganz. Bis zu dem dämlichen Rückzugsbefehl waren sein Auftritt und der seiner Kollegen der a b s o l u t e Hit gewesen. Große SEK-Kunst,

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