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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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Russisch und in Amerika Amerikanisch!« Rösners Wut war nicht zu überhören.
    »Kannste denn überhaupt Portugiesisch?«, fragte Marion und sah Rösner von der Seite prüfend an.
    »Is doch scheißegal. Kohle verstehen die nämlich in allen Sprachen«, sagte Rösner in einem Ton, der keinen Widerspruch mehr zuließ, und fügte wie ein Operettenstar hinzu: »Die Sprache des Geldes is nämlich total international, verstehste? Und jetzt halt verdammt noch mal die Klappe, Marion!« Er umfasste das Lenkrad wieder mit beiden Händen und trat aufs Gaspedal.
    In Marions Fußraum lagen die leeren Bierbüchsen, die er an der Raststätte besorgt hatte und mit denen sie auf die bevorstehende Freilassung der Mädchen angestoßen hatten. Nahezu gleichzeitig hatten sie die schäumenden Dosen aufgeknackt, um umständlich miteinander anzustoßen und sich lachend zuzuprosten.
    »Noch ’n paar Kilometer, und dann seid ihr zwei draußen!«, hatte Rösner gönnerhaft gesagt, die Beck’s-Dose in der Hand, und zufrieden in den Rückspiegel gesehen, in dem weit und breit kein Polizeifahrzeug zu sehen war. Genüsslich hatte er sich den bitter schmeckenden Schaum von der Oberlippe geleckt.
    Irgendwann sagte er: »Hoffentlich ham die da unten in dem Scheiß-Portugal ’n richtiges deutsches Bier!«

21
    Frankfurter Rundschau
    Abfahrt des Fluchtfahrzeugs im Blitzlichtgewitter der Fotografen
    Mit Fernschreiben vom 18. August 1988 (10.22 Uhr) hat der Deutsche Presserat folgende Stellungnahme zu den laufenden Ereignissen herausgegeben: »Bonn (dpa) – Der Deutsche Presserat, das Selbstkontrollorgan der Presse in der Bundesrepublik, bittet die Redaktionen der publizistischen Medien, bei der Berichterstattung bei Gewaltandrohungen aller Art Zurückhaltung zu üben, ohne die grundsätzliche Informationspflicht zu verletzen.«
    ***
    Kölner Stadt-Anzeiger
    Letzte Rast vor dem Ende der Irrfahrt.
    Um sicherzugehen, dass kein Polizist in Soutane erscheint, verlangen die Gangster Bilder der beiden Bischöfe, zu denen sie Kontakt gesucht haben. Sie werden aus einem Zeitungsarchiv geholt. Mehrfach steigt Rösner aus dem Wagen, hält seine Pistole auf die Umstehenden. Verhandlungen mit der Polizei lehnt er ab. »Wenn sich ein Polizist sehen lässt, ist die Frau dran!«, ruft er. Dann fahren sie ab. Dem tödlichen Finale entgegen.

Kirchner musste an Robert denken, während er seinen Wagen über die A3 in Richtung Olpe steuerte. Wahrscheinlich saß der Junge in diesen Minuten im Klassenraum des Helene-Lange-Gymnasiums an seinem Platz und dachte angestrengt darüber nach, was er über Max Frischs Drama »Andorra« schreiben sollte.
    Robert hatte ihm unlängst von der bevorstehenden Deutscharbeit erzählt und hörbar gestöhnt, als sie das letzte Mal telefonierten. Robert machte sich nichts aus Büchern oder Theaterstücken. Genau wie er selbst. Im Theater schlief Kirchner regelmäßig ein. Was gingen ihn eine Hedda Gabler oder die Nora eines gewissen Herrn Ibsen an? Seine Exfrau Claudia hatte ihn ein paarmal überredet, mit ihr in Bochum ins Theater zu gehen, hatte es aber irgendwann ernüchtert aufgegeben und war zuletzt nur noch mit einer Freundin hingegangen. Auch Romane schreckten ihn ab, weil sie meistens dick waren und man Wochen dafür brauchte, um sie zu lesen. Nur einmal hatte er sich durch ein Buch gekämpft, das mehr als 500 Seiten hatte, Herman Melvilles »Moby Dick«, das seither sein Lieblingsbuch war. Die Figur des raubeinigen Käpt’n Ahab hatte es ihm angetan, weil er in dessen Hartnäckigkeit sich selbst zu sehen meinte, oder jedenfalls ein Stück von sich.
    Was er mochte, waren Sportbücher und Erinnerungen von Politikern. In seinem Wohnzimmerschrank standen die Memoiren von Winston Churchill und Willy Brandts Buch »Friedenspolitik in Europa« neben Robert Deiningers Buch »Helmut Haller, der Mann mit den goldenen Beinen«, Harry Valériens »Olympia München 1972« aus dem Südwest Verlag und Hildegard Knefs halb gelesene Lebenserinnerungen »Der geschenkte Gaul«. Dasletzte Buch, das Kirchner in der Hand gehabt hatte, trug den Titel »Von Jesse Owens bis Armin Hary« und lag seit Tagen auf seinem Nachttisch. Er hatte das gut erhaltene Buch bei Karstadt auf dem Wühltisch in der Dortmunder Innenstadt gefunden und für schlappe 2 Mark erstanden.
    Über der Fahrbahn erzeugte die Hitze flimmernde Spiegelungen, so dass Kirchner meinte, seinen Wagen geradewegs in einen riesigen See hineinzusteuern. Der Himmel war plötzlich so weiß wie

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