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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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Rolle fand, die schließlich zu ihrer Trennung geführt hatte: in der des Angeklagten.
    »Claudia, was soll das?«
    Doch sie ließ nicht locker, sagte: »Ich habe dir eine einfache Frage gestellt, Rolf! Beantworte sie einfach.«
    »Du weißt genauso gut wie ich, weshalb Robert im Moment keinen großen Wert auf meine Anwesenheit legt. Er ist immer noch sauer auf mich. Was übrigens ziemlich ungerecht ist. Mir alleine die Schuld an allem zu geben trifft die Sache ja wohl nicht ganz. Der Junge braucht einfach Zeit.«
    »Robert hat doch recht! Schließlich bist du es gewesen, der …«
    »Claudia, hör auf!«, unterbrach Kirchner sie lautstark. »Das hatten wir doch wohl schon, oder?! Robert ist sechzehn und in einer schwierigen Phase, und dass er an allem zu kauen hat, das weiß ich auch. Erspar mir also deine Vorwürfe, und sag mir lieber, wie es ihm geht.«
    »Mit Robert ist alles in Ordnung! Sonst noch was?« Sie klang, als würde sie jeden Moment auflegen. Doch dann sagte sie:»Denk dran, dass er nächste Woche Geburtstag hat! Ich glaube, er würde sich trotz allem freuen, wenn du dich bei uns sehen lassen würdest.«
    »Keine Sorge«, sagte Kirchner mit aufgesetzter Lässigkeit und sah aus dem Fenster. »Du glaubst doch nicht, dass ich den Geburtstag meines Sohnes vergesse!« Er hatte ihn vergessen und war froh, von ihr daran erinnert worden zu sein.
    »Was wolltest du eigentlich?«
    »Hören, wie es Robert geht«, sagte er.
    »Na, dann war’s das ja wohl.«
    »Offenbar, ja«, sagte er, und sie legten auf.
    Leicht benommen starrte Kirchner nach draußen, wo am Himmel in großer Höhe ein silberfarben schimmerndes Flugzeug auf die Sonne zuhielt. Er stellte sich vor, wie die Maschine jeden Moment in dem 5000 Grad heißen Feuerball verglühte, auch wenn er natürlich wusste, dass das nicht passieren würde. Die Vorstellung, Zeuge eines solchen Spektakels zu werden, ohne etwas dagegen tun zu können, berührte ihn trotzdem unangenehm.
    Rolf Kirchner hasste Tage wie diese, an denen Bereitschaftsdienst auf dem Plan stand, was nichts anderes bedeutete, als dazusitzen und darauf zu warten, dass sich irgendwo eine Gefährdungssituation ergab, ein Szenario, das ein schnelles Eingreifen erforderlich machte. Auf so etwas waren er und seine Kollegen in zahlreichen Einsätzen trainiert worden. Auf rasches, zielgerichtetes Handeln. Und nicht auf tatenloses Herumsitzen.
    Mit der Abfahrt der Geiselnehmer aus Gladbeck am Vorabend hatte automatisch das MEK übernommen. Sie hatten ihre Chance gehabt, und sie hatten sie, gegen seinen Willen, kläglich vertan.
    Er griff erneut zum Telefonhörer, um Frank Peters, den Leiter des Mobilen Einsatzkommandos, anzurufen, mit dem er seit Jahren befreundet war. Peters würde ihn auf den neuesten Stand bringen.238 Kilometer von Dortmund entfernt, verließ ein 15-jähriger italienischer Junge in Bremen-Blumenthal die Stadtteilschule in der Herbartstraße, um seine achtjährige Schwester, deren Unterricht an diesem Tag früher geendet hatte, bei einer Freundin abzuholen.
    Er liebte seine Schwester, liebte ihren verschleierten, verträumten Blick und ihr pechschwarzes Haar, in das sie sich manchmal einen hellen Reif drückte, damit es ihr nicht ins Gesicht glitt und sich als Vorhang vor ihre melancholischen Augen schob. Er liebte ihren schön geschwungenen kleinen Mund mit der vollen Unterlippe, auf die sie sich manchmal unbewusst biss, wenn sie nachdachte oder sich auf etwas konzentrierte.
    Er war ihr großer Bruder, doch er war auch ihr Beschützer, wenn auf dem Schulhof oder sonst wo es irgendjemand wagte, sie anzufassen oder ihr zu nah zu kommen. Denn das durfte keiner. Wer es dennoch versuchte, bekam es mit ihm zu tun.
    ***
    Nachdem sie drei Tassen Filterkaffee getrunken, eine hauchdünn mit Butter und Waldblütenhonig bestrichene Scheibe Toast sowie ein weichgekochtes Ei gegessen und erneut die bislang vorliegenden Seiten ihres neuen Romans durchgesehen hatte (Brigitte liebte es, im Bademantel hinter heruntergelassenen Rollläden am Küchentisch zu sitzen und zu rauchen und, während sie in ihren Manuskripten las und da und dort am Rand Anmerkungen machte, klassische Musik zu hören, am liebsten Zemlinsky, Bartók oder Monteverdi), lief sie in die Diele, griff sich das Telefon und kehrte damit in die wegen der nicht ganz geschlossenen Rollläden in ein diffuses Leuchten versetzte Küche zurück. Dort stellte sie das Telefon neben dem halbvollen Ascher auf den Tisch, nahm eine weitere John

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