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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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manchmal nicht.

    Für Hans-Jürgen Rösner war Gott jemand, der dafür sorgen sollte, dass die sechs Zahlen, die er auf seinem Lottoschein angekreuzt hatte, gezogen wurden. Bisher hatte er ihm diesenWunsch noch nicht erfüllt. Doch eigentlich war der einzige Gott, an den er von klein auf glaubte, der Typ, der auf dem Tausendmarkschein abgebildet war. Der Alte mit dem Bart. Und wenn der nicht von selbst zu ihm kam, dann musste er ihn eben holen. In seiner Phantasie hatte Rösner sich, während sie mit den beiden Geiseln im Wagen durch die Nacht gefahren waren, mit einem Tausender eine dicke Zigarre anstecken sehen und dabei am Arm eine derartige Gänsehaut bekommen, dass die Tätowierung spannte.
    Er blieb stehen, steckte sich eine Zigarette an und ließ den Rauch geräuschvoll zwischen den Zähnen entweichen. Dann sah er sich einmal nach rechts, dann nach links um und sagte: »Los komm, wir holen uns ’n Kaffee!«
    Trotz der Vesparax, die er in großen Mengen geschluckt hatte, um wach zu bleiben, und die in seinem Innern immer noch ein leichtes stimulierendes Brennen verursachten, verspürte er das starke Verlangen nach Kaffee. Nach viel Kaffee. Er war inzwischen seit über vierzig Stunden auf den Beinen, und kein Mensch wusste, wie lange das hier noch weitergehen sollte.
    Er hatte elf von dreizehn Jahren Haftstrafe hinter sich und genug von Gefängnismauern. Lieber würde er sich eine Kugel in den Kopf jagen, als noch einmal dorthin zurückzugehen. Nein! Er hatte nur eine einzige Chance, diese hier! Die allerletzte! Die Chance seines Lebens! Das ganz große Ding. Und die würde er nutzen.
    ***
    Früher, wenn er von der Jagd nach Drogendealern, Zuhältern und Kleinkriminellen nach Hause kam, ging er jedes Mal als Erstes unter die Dusche. Auf die Frage seiner Frau, weshalb er das tue, hatte er ihr einmal ganz zu Beginn ihrer Ehe geantwortet, er schwimme den ganzen Tag im Dreck, und den müsse er abwaschen, damit er nicht ihr Leben beschmutze.
    Der Gruppenleiter SEK Dortmund Rolf Kirchner verließ die Kantine und lief zum Aufzug. Er hatte nur eine kalte Gurkensuppe und eine Nachspeise gegessen, sämiges Aprikosenkompott mit einer Kugel Vanilleeis. Auf den Kaffee hatte er verzichtet. Kaffee hatte er den Vormittag über bereits mehr getrunken, als seinem Nervensystem guttat.
    Er hatte bis zum Essen vor dem Fernseher im Besprechungsraum gesessen und sich auf dem Laufenden gehalten. Hatte herumtelefoniert und sich bei Presseleuten umgehört, wie man die Entwicklung beurteilte. Anschließend hatte er, obwohl sie im Moment bloß Zuschauer waren wie alle anderen, mit den Kollegen darüber diskutiert, was zu tun wäre, um das Drama schnellstmöglich zu beenden, ohne dabei das Leben der Geiseln zu gefährden.
    Rösner und Degowski waren seit dem Morgen mit den beiden Geiseln in Bremen unterwegs, und Rolf Kirchners Empörung darüber, dass man den Wagen am Vorabend hatte in die Nacht abfahren lassen, hatte sich immer noch nicht gelegt. Recklinghausen hatte versagt! Sie hatten versagt! Der neue Einsatzleiter hatte sich bis zuletzt beratungsresistent gezeigt.
    Unterdessen fertigten die Kollegen im Besprechungsraum eine Grafik an, auf der die bisherigen Stationen der Geiselnehmer auf ihrer Flucht nachgezeichnet waren. Kirchner stand lange davor und fragte sich, wohin das Ganze noch führen solle.
    Den entscheidenden Zugriff hatten sie trotz zahlreicher guter Möglichkeiten verpasst und sahen sich nun, da die Presse jede Bewegung der Geiselgangster auf Schritt und Tritt verfolgte, in die Beobachterrolle gedrängt. Sie hatten versagt. Doch Rolf Kirchner glaubte weiter an seine Chance. Sie würde kommen, dessen war er sich ganz sicher.
    Als Junge hatte er unter der geradezu krankhaften Fürsorge seiner Großmutter gelitten, bei der er nach Schulschluss untergebracht war, während die Mutter arbeitete. Aus Angst, er könntesich draußen beim Spielen mit den anderen Kindern verletzen, hielt sie ihn in ihrer kleinen Wohnung fest wie einen Gefangenen. Zug um Zug machte sie ihre Ängste zu seinen. Bis er selbst glaubte, zerbrechlicher und gefährdeter als andere Kinder zu sein, und er sich in ihrer kleinen Speisekammer eine Ecke einrichtete, die er »Rolfis Gefängnis« nannte: eine Lücke, in die er ein Kissen stopfte, auf das er sich setzte. Eingeklemmt zwischen Wasserkasten, Vorratsgestell und Bügelbrett wartete er darauf, dass die Tür aufging und ein Wärter kam, um ihm Wasser und Brot zu bringen, was natürlich nie geschah, bis er

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