Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
Bank. »Diese verdammten Schweine!«, rief Rösner, trat vor die verglaste Eingangstür und bedeutete dem Fahrer per Handzeichen, wie der Wagen stehen solle. In der anderen hielt er den Colt.
Eine halbe Stunde später verließen sie im gleißenden Licht der Scheinwerfer und aufzuckenden Blitzlichter die Bank und zwangen ihre beiden Geiseln mit vorgehaltenen Waffen in den Wagen. Degowski nahm hinten neben Reinhard Allbeck Platz. Rösner setzte sich ans Steuer, Andrea Branske auf den Beifahrersitz.
Sie waren raus. Sie hatten es geschafft. Es ging los.
***
Die von blaugrün schillernden Spiegelungen flirrende Wasseroberfläche teilte sich, und ein Kopf glitt an die Oberfläche, das nasse Haar vom Wasser wie von einer hauchdünnen Folie an den Schädel gepresst, die Augen wie im Schlaf geschlossen. Und schlagartig waren die Geräusche wieder da: die durcheinandergehenden Stimmen, die Schreie der Kinder.
Rolf Kirchner öffnete die Augen, hielt sich mit beiden Händenam blau gekachelten Beckenrand fest und atmete ein paarmal kräftig ein und aus. Dann stemmte er sich aus dem Wasser, zog die Beine an, drückte kurz die Knie gegen den bräunlichen Untergrund und schnellte in die Vertikale hoch.
Er liebte dieses Dahingleiten und Getragenwerden, wenn man alle Schwere verlor, untertauchte und der Lärm der Welt unter Wasser plötzlich nur noch ein dumpfes Rumoren war.
Als Teenager hatte er von einer Karriere als Schwimmer geträumt und seine Nachmittage am liebsten im Volksbad zugebracht, unweit des Stadions Rote Erde an der Strobelallee. Von Hombruch aus, wo er seine Jugend zuerst bei seiner Mutter und später bei deren Mutter zugebracht hatte, war es dorthin nicht weit. Wann immer es ging, stahl er sich ins Volksbad, das in den fünfziger Jahren die erste wettkampftaugliche Schwimmanlage mit 50-Meter-Bahnen in Deutschland besaß. Manchmal sah er sich in seiner Phantasie, wenn er sprungbereit auf einem Startblock stand, für Dortmund um die Deutsche Meisterschaft im Kraulen schwimmen. Doch den Mut, einem Schwimmverein beizutreten, hatte er nicht. Außerdem hätte seine ängstliche Mutter, die ihn nicht einmal Rollschuh laufen ließ, das sowieso nicht erlaubt.
Kirchner lief zu den Duschen, drehte den Hahn auf und spülte sich das Chlor vom Körper. Dabei schloss er die Augen und sah im Geiste die Ereignisse des vergangenen Tages wie auf einer Mattscheibe wieder vor sich: das weiträumig abgesperrte und von den Kollegen umstellte Bankgebäude in Gladbeck-Rentfort. Die beiden Scharfschützen, den Kollegen in der orangefarbenen Badehose mit den in Plastikfolie eingewickelten 300
000 Mark. Die sich vordrängenden Gaffer. Und all die wenige Meter vor dem Gebäude ungehindert hin und her laufenden Journalisten und Fotografen mit ihren pausenlos surrenden Kameras und krächzenden Walkie-Talkies. So, als sei das Ganze alleine für sie inszeniert: ein fröhliches Stelldichein unter Berufskollegenanlässlich einer deutschen Geiselnahme. Jeder Schuss mit der Canon F-1 ein Treffer! Wer hat noch nicht, wer will noch mal? So etwas hatte er noch nie erlebt.
Wäre es nach ihm und seinen Leuten vom SEK Dortmund gegangen, wären sie schon kurz nach ihrem Eintreffen in Rentfort-Nord mit einem Mercedes G-3 durch die Fensterfront in die Bank eingedrungen und hätten Rösner und Degowski, die sich in dem mit Panzerglas ausgestatteten Kassenhäuschen verschanzt hatten, während sich die Geiseln unbeobachtet im Sozialraum aufhielten, so lange in ihrem kugelsicheren Gefängnis schmoren lassen, bis Hunger oder Durst sie irgendwann zur Aufgabe gezwungen hätten.
Ein Kinderspiel! »Um fünf sind wir beim Tennis«, hatte sein Kollege Berischa, ein erfahrener SEK-Mann, noch am Morgen zuversichtlich zu ihm gesagt, nachdem sie eine Tatortanalyse vorgenommen und die Gefährdungslage überblickt hatten. Kirchner, der bereits in den siebziger Jahren in der Terrorfahndung aktiv gewesen war, hatte zusätzlich Richt- und Körperschallmikrophone sowie ein im Heizungsschacht der Bank zu installierendes Sichtokular zur genaueren Täterbestimmung einsetzen wollen, was die Einsatzleitung ihm jedoch strengstens untersagte. Die Vorbereitungen für den »kleinen Notzugriff« liefen, weitere 35 SEK-Beamte hatten sich in Dortmund auf den Weg nach Gladbeck gemacht. Doch der Polizeidirektor in Recklinghausen, der das SEK Dortmund am Morgen um Mithilfe gebeten hatte und als Hauptverantwortlicher der örtlichen Polizei den Einsatz leitete, hatte Kirchner, der die
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