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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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Englischbücher, die er in einem unbeobachteten Moment in der Schulbibliothek kurzentschlossen unerlaubt an sich genommen hatte, überreichen.Doch dazu kam es nicht. Denn plötzlich ging alles sehr schnell. Ein Mann, offenbar ebenfalls Busfahrer, stürmte in den Bus, rief mit aufgeregter Stimme: »Komm schnell!«, und zog Adam an dem verdutzten Borgward vorbei hinaus.
    Vor dem in etwa 50 Metern Entfernung stehenden Linienbus mit der Nummer 53, neben dem ein großer BMW mit eingeschlagenen Seitenscheiben stand, hatte sich eine Gruppe versammelt.
    Reglos starrte Borgward hinüber, wo sich plötzlich ein Mann mit vorgehaltener Waffe schreiend aus der Gruppe löste. O Gott, dachte Borgward erschrocken, und dabei wanderte seine Hand zu der Aktentasche, die er sich wie ein Schutzschild vor den Bauch schob.
    ***
    Beim Gang vom Gäste-WC, wo sie ein Handtuch und ein Stück CD-Seife aus dem Schränkchen neben dem Waschbecken nahm, zurück zur Haustür, die sie beim Hereinkommen offenbar nicht zugemacht hatte, deshalb also der Durchzug im Arbeitszimmer, fiel Brigittes Blick auf ein schmales Briefbündel, das zusammengepresst oben aus dem engen Schlitz des Briefkastens herausschaute. Dabei dachte sie erstaunt: Dass mir das noch nie aufgefallen ist. Denn obwohl Martin inzwischen sechs Jahre tot war und schon lange keine Post mehr für ihn kam, stand noch immer sein Name mit auf dem Briefkastenschildchen. FISCHER / ANDERNACH.
    Sie öffnete den Briefkasten und nahm die Briefe heraus. Sie ging die Adressaten kurz durch und stockte. Denn zwischen der Einladung einer Galerie in der Südstadt, einem Schreiben ihres Kfz-Versicherers, der natürlich Geld wollte, was sonst, der Werbung einer landesweit bekannten Optiker-Kette – Für Ihre neuen Mehrschichtgläser gibt’s bei uns das Gestell natürlich umsonst dazu – und dem packpapierbraunen Umschlag eines Theaterverlagsin Frankfurt, bei dem sie sich die Kopie eines Stücks der US-Dramatikerin Wendy Wasserstein bestellt hatte, befand sich ein Brief von Martins zwei Jahre älterer und seit Jahren in Spanien, irgendwo zwischen Tarragona und Barcelona lebenden Schwester Marianne.
    Ein Brief von Marianne?, dachte Brigitte überrascht. Was will die denn von mir? Sie besah sich die Absenderadresse, Marianne Andernach, Carrer de Pau Casals 16, E-43 880 El Vendrell, España, und sofort hatte sie das Bild der zierlichen, energischen Person vor Augen: das runde, von zwei weit auseinanderstehenden grünbraunen, seltsam verschleiert wirkenden Augen dominierte Gesicht mit dem kurzen Kinn, der sinnlichen fleischigen Unterlippe und der ungewöhnlich hohen Stirn, an die der Ansatz ihres kastanienbraunen, schulterlangen Haars grenzte wie der einschneidende Gummi eines engsitzenden Baretts.
    Brigitte war Marianne Andernach höchstens ein Dutzend Mal begegnet, und sie waren nie warm miteinander geworden. Das letzte Mal hatte Marianne sie kurz vor Martins Abflug in den Libanon im Sommer 1982 in Köln besucht. Sie war damals auf der Weiterreise nach Griechenland, auf die Nördlichen Sporaden, gewesen, wohin sie ihre geologischen Ausgrabungen führten, die sie damals noch für das Institut für Geowissenschaften der Universität Frankfurt betrieb. Es war zu einem heftigen Streit zwischen ihnen gekommen, weil Marianne ihren Bruder damals gegen ihren ausdrücklichen Wunsch, dies nicht zu tun, darin bestärkt hatte, seinen ursprünglich auf zehn Tage begrenzten Aufenthalt in Beirut auf mehr als drei Wochen auszuweiten. Vierzehn Tage später war Martin tot.
    Brigitte schob den Brief nachdenklich in die Tasche ihres Pyjamas, stopfte den Umschlag des Verlags aus Frankfurt und das Schreiben der VHV zurück in den Briefkasten, schloss wieder ab und bückte sich nach dem Handtuch, auf dem die Seife lag.
    »Da sind Sie ja endlich«, schallte es vorwurfsvoll hinter derLigusterhecke hervor, und im nächsten Moment stand wieder der Bärtige aus der Garage vor ihr. »Ich dachte schon, Sie wären abgehauen.«
    »Und wenn es so wäre«, blaffte Brigitte zurück. »Das ist mein Haus und mein Grundstück. Und wenn Sie weiter so unverschämt daherreden, hole ich die Polizei!« Fast hätte sie »du Penner« hinzugefügt, konnte sich im letzten Moment aber noch beherrschen.
    Sie drückte ihm das Handtuch und die Seife in die Hand und lief zurück ins Haus. Im Halbdunkel ihres Arbeitszimmers nahm sie den Brieföffner aus der Schreibtischschublade, schlitzte den Brief vorsichtig auf und zog das zweimal gefaltete Stück Papier

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